Mindestens neun Tote bei israelischer Militäraktion

Israelische Elitesoldaten haben im Mittelmeer mehrere Schiffe einer internationalen Hilfsflotte für den Gazastreifen angegriffen. Dabei wurden nach israelischen Angaben mindestens neun Aktivisten der Organisation „Free Gaza“ getötet. In Medienberichten ist von bis zu 16 Toten die Rede. Mehrere Menschen – sowohl Soldaten als auch Aktivisten – seien verletzt worden. Ein israelischer Soldat schwebt nach Armeeangaben in Lebensgefahr. Die israelische Regierung hatte unmittelbar nach dem Vorfall stundenlang eine Informationssperre verhängt.

Insgesamt sechs Schiffe mit mehr als 700 pro-palästinensischen Aktivisten hatte sich am Sonntag von Zypern aus auf den Weg gemacht, um rund 10.000 Tonnen Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Armeesprecher Avi Benajahu sagte, die Schiffe seien geentert worden, weil sie die über den Gazastreifen verhängte Seeblockade durchbrechen wollten. Die Aktivisten seien mehrfach aufgefordert worden, sich friedlich zu ergeben. Dies sei jedoch scharf zurückgewiesen worden. Daraufhin hätten die Soldaten die Schiffe geentert.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu brach seinen Besuch in Kanada ab und sagte auch die Weiterreise in die USA ab. Für morgen war eigentlich ein Gespräch mit Präsident Barack Obama geplant. Stattdessen flog Netanjahu nach Israel zurück, um über die Konsequenzen des blutigen Marine-Einsatzes im Mittelmeer zu beraten, sagte einer seiner Mitarbeiter in Ottawa.

„Eine enorme Provokation“

Israels Industrie- und Handelsminister Benjamin Ben Elieser sagte im Militärrundfunk, er bedauere den Vorfall. Die Fernsehbilder von der Erstürmung seien „nicht schön“. Er fügte hinzu: „Ich kann nur mein Bedauern über alle diese Toten äußern.“ Die Armee habe nicht die Absicht gehabt, das Feuer zu eröffnen, es habe aber „eine enorme Provokation“ gegeben. Die Soldaten seien mit Äxten und Messern „erwartet“ worden und die Aktivisten hätten versucht, sie zu entwaffnen. „Dann fängt man an, die Kontrolle über die Lage zu verlieren“, sagte Ben Elieser.

Türkei kritisiert den israelischen Einsatz – Botschafter abberufen

Die türkische Regierung reagierte scharf auf den Einsatz gegen den internationalen Konvoi, dem sich auch eine türkische Menschenrechtsgruppe angeschlossen hatte. „Wir verurteilen diese unmenschlichen Praktiken Israels“, teilte das Außenministerium in Ankara mit. Der israelische Militäreinsatz stelle einen „klaren Bruch“ des internationalen Rechts dar und könne zu „irreparablen Konsequenzen“ in den bilateralen Beziehungen führen.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan brach nach Angaben des Nachrichtensenders NTV eine Südamerika-Reise ab. Der türkische Botschafter wurde aus Israel abberufen. Zudem annullierte die Türkei drei Militärabkommen mit Israel. In Istanbul versammelten sich mehrere Hundert Menschen vor dem israelischen Generalkonsulat. Einige von ihnen versuchten, in das Gebäude einzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein.

Palästinenserpräsident Machmud Abbas sprach von einem „Massaker“ und einem „abscheulichen Verbrechen“. Er forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Die internationale Gemeinschaft reagierte besorgt.

Boote sollen nach Haifa geschleppt worden sein

Die Schiffe hatten sich nach Angaben von „Free Gaza“ in internationalen Gewässern befunden. Die Boote wurden nach der Erstürmung in den Hafen von Haifa geschleppt. Der arabische Fernsehsender Al Dschasira berichtete, von dem gestürmten Boot seien sieben Verletzte in ein Krankenhaus nach Haifa geflogen worden.

Eine Sprecherin der Hilfsorganisation „Free Gaza“ sagte, sie habe keine Information über den Verbleib ihrer Mitglieder, da der Funkkontakt zu den Schiffen abgerissen sei. Sie bestritt jedoch, dass Aktivisten auf Soldaten geschossen oder die Gewalt ausgelöst hätten. Ein Besatzungsmitglied des griechischen Schiffes „Eleftheri Mesogeios“, das zur sogenannten Gaza-Flotte gehört, schilderte im israelischen Fernsehen die Aktion aus seiner Sicht: „Die [Israelis] haben fast alle Leute weggeschleppt. Sie haben mit Gummikugeln geschossen. Sie haben Menschen angeschossen und Leute geschlagen.“

Fünf Bundesbürger auf den Schiffen – darunter zwei Abgeordnete

Israel hatte in den vergangenen Tagen bereits mehrfach angekündigt, die rund 700 pro-palästinensischen Aktivisten von „Free Gaza“ unter allen Umständen daran zu hindern, die Hilfsgüter direkt in den Gazastreifen zu liefern. An Bord der Schiffe sind auch die beiden Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger sowie der ehemalige Abgeordnete Norman Paech von der Linkspartei. Zu ihnen besteht nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios derzeit kein Kontakt. Neben den Politikern befinden sich zwei weitere Bundesbürger auf den Schiffen. Zu den Aktivisten gehört laut „Free Gaza“ zudem der schwedische Schriftsteller Henning Mankell. Auch über seinen Verbleib gibt es derzeit keine Angaben.

Israel hat den Gazastreifen nach Machtübernahme der radikalen Hamas-Organisation im Juni vor drei Jahren nahezu vollständig von der Außenwelt abgeriegelt. In dem Gebiet leben rund 1,5 Millionen Menschen. Die Hamas bezeichnete die Übernahme des Hilfsbootes als barbarischen Akt.

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