Der lange Weg zur Chancengleichheit – Interview mit Maria Kathmann vom Deutschen Frauenrat 07.03.2002

Chancengleichheit scheint immer noch in vielen Bereichen mehr Schlagwort als Realität zu sein. Über Ursachen, Hürden und Probleme sprach tagesschau.de mit Maria Kathmann vom Lobbyverband „Deutscher Frauenrat“.

tagesschau.de: Immer noch besteht ein Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern – den jüngsten statistischen Zahlen nach verdienen Frauen im Durchschnitt nur 79 Prozent dessen, was ihre männliche Kollegen bekommen. Woran liegt das?

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tagesschau.de: Nachholbedarf inwiefern? Auch ein Mangel an Geschlechterbewusstsein?

Kathmann: Ja, einmal am Geschlechterbewusstsein, aber auch im genaueren Hinschauen, wie die Tätigkeiten bewertet sind. Eine Überholung und eine Prüfung der Tarifverträge wäre erforderlich.

tagesschau.de: Bei den Führungspositionen sieht es ja noch gravierender aus: Nur vier Prozent Frauen in Deutschland. Das kürzlich im „Wall Street Journal Europe“ veröffentlichte Ranking der 25 Top-Managerinnen weltweit ergab, dass keine einzige Deutsche dabei ist. Woran liegt das?

Kathmann: Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Unternehmen in Deutschland sehr stark davon ausgehen, dass Frauen eher für Zuverdienste als Eigenverdienste da sind. Die Unternehmen haben außerdem nicht erkannt, dass sie auf die Qualifikation der Frauen eigentlich gar nicht mehr verzichten können. Sie reden zwar von den so genannten „weichen Management-Fähigkeiten“, diese werden aber letztendlich nicht von den Frauen abgefordert.

tagesschau.de: Welche Hürden oder Probleme sehen Sie denn in der Umsetzung der Chancengleichheit?

Kathmann: Es liegt sicherlich auf der einen Seite daran, dass wir in Deutschland auch keine Gleichstellungsgesetze für die private Wirtschaft haben. Wir haben nur Gleichstellungsgesetze für den öffentlichen Dienst, aber nicht für die private Wirtschaft. Das ist ein Punkt. Dann ist es auf Seiten der Frauen durchaus erforderlich, dass sie sich stärker vernetzen und gegenseitig in die Führungsfunktionen schieben und unterstützen.

tagesschau.de: Der deutsche Frauenrat ist ja ein Lobbyverband der Frauen. Was machen Sie und wo setzen Sie an?

Kathmann: Wir versuchen auf die Bundesregierung und die Ministerien einzuwirken, um entsprechende Gesetzesregelungen zu bekommen. Zum Beispiel beim Gleichstellungsgesetz war der Deutsche Frauenrat aktiv. Er hat Veranstaltungen gemacht und zu Unterschriftenaktionen aufgerufen und hat auch Positionen beschlossen, wie man sich das Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft vorstellen kann. Das ist das eine. Und das andere ist, dass wir als Deutscher Frauenrat auch nach innen wirken können, dass wir über die Verbände und Verbandsspitzen die Frauen mobilisieren wollen, für ihre Rechte einzutreten und ihre Rechte auch zu erstreiten.

tagesschau.de: In Bezug auf Europa, wie steht Deutschland da, ist es ein Schlusslicht?

Kathmann: In mancherlei Hinsicht schon. Was die Gesetze angeht, habe ich schon erwähnt, dass wir in Deutschland dieses Gesetz nicht haben, während viele europäische Länder über gesetzliche Regelungen verfügen. Und wo wir mit Sicherheit eines der Schlusslichter sind, ist, was die befördernde Rahmenbedingung angeht. Es hängt nicht alles von der Familienpolitik ab. Aber wenn die Kinderbetreuungseinrichtungen nicht da oder nicht in ausreichendem Maße da sind, dann ist es natürlich für viele Frauen schwierig – eigentlich sollte es auch für Väter schwierig sein, ist es aber nicht – besonders für viele Mütter ist es schwierig, ihre beruflichen Interessen zu verwirklichen. Bei diesen Rahmenbedingungen, Ganztagseinrichtungen und -schulen sind wir absolutes Schlusslicht.

Das Interview führte Britta Scholtys, tagesschau.de

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