Warten auf Hilfe: Der schwierige Wiederaufbau

Es gibt viel zu tun in Afghanistan. Nach Vertreibung der Taliban hat der Wiederaufbau begonnen. Zumindest in der Hauptstadt Kabul. Unterhalb des zerstörten Königpalastes wird die Straße ausgebessert. Das Projekt finanziert die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW.

Eine der Helferinnen ist Alana Begum. Die 55jährige ist Witwe. Sie hat ihren Ehemann, Sohn und Enkelkind im Krieg verloren. Allein muß sie jetzt ihre übrige gebliebene Familie ernähren. Das ist nicht leicht.

Sie sei sehr glücklich, sagt sie, dass sie Arbeit habe. Aber gleichzeitig sei sie auch ängstlich, dass sie ihre Stelle wieder verliere, wenn eines Tages das Projekt ausläuft. Was, fragt sie, solle sie dann tun?

Rückkehr aus dem Exil

Arbeit ist rar in Afghanistan, besonders für Frauen. Das weiß auch die stellvertretende Frauenministerin Soraya Sobrani. Die ausbildete Frauenärztin hat mehr als 20 Jahre im Ausland gelebt. Erst jetzt ist sie nach Afghanistan zurückgekehrt, um ihrem Land bei Wiederaufbau zu helfen.

Sie habe immer Heimweh gehabt, erzählt die Ministerin, und wollte immer nach Hause zurück, aber wegen des Krieges und der Taliban war das nicht möglich. Sie sei sehr froh, wieder hier zu sein. Ihr Land brauche sie.

So wie Soraya Sabrani denken nur wenige. Hunderttausende Akademiker haben seit den 70er Jahren Afghanistan verlassen und sich im Ausland eine neue Existenz aufgebaut. Kaum jemand ist bisher zurückgekommen. Doch das ist nicht das einzige Problem.

Warten auf Finanzhilfe

Den Afghanen fehlt das Geld, sagt Soraya Sobrani. Die internationale Gemeinschaft habe Milliarden versprochen. Nur ein Bruchteil der zugesagten Finanzmittel sei bisher bei ihnen eingetroffen. Das sei schlecht für den Demokratisierungsprozess und für die Frauen.

Was an Geld vorhanden ist, wird in Projekte gesteckt. Wie hier im Osten Kabuls werden 200 Frauen zu Näherinnen ausgebildet. Als Lohn erhalten sie umgerechnet 10 Euro pro Monat und am Ende der Ausbildung nach sechs Monaten eine Nähmaschine. So sollen sie später Geld verdienen. Hilfe zur Selbsthilfe.

Eine Frau berichtet, dass sie fünf Kinder zu Hause hat. Ihr Mann habe sie verlassen. Das Einkommen reiche hinten und vorne nicht. Schwere Zeiten seien das für sie – für alle.

Ungebrochene Traditionen

Nach der Arbeit verlassen die Frauen ihre Nähstube. Die Burka, das Symbol der Unterdrückung der Frauen unter dem Taliban-Regime, gehört dabei immer noch zum Alltagsbild. Nur wenige Frauen trauen sich , ohne Verschleierung auf die Straße zu gehen. Jahrelang wurde von den Fundamentalisten vorgeschrieben, daß Frauen keine Gesichter haben und nicht auffallen dürfen. Trotz neuer Zeit – das alte Denken ist geblieben. Afghanistan verändert sich nur sehr langsam.

Das zeigt sich auch in den Krankenhäusern. Die Not ist groß. Auf einer Station für unterernährte Kinder werden die kleinen Patienten aufgepäppelt. Dabei hilft die Medizinstudentin Mariam Sabri. Sie stammt aus Kabul, ist in Deutschland aufgewachsen und nach 21 Jahren zum ersten Mal wieder in ihre alten Heimat zurückgekehrt.

Die Medizinstudentin aus Gießen zeigt ein kleines Mädchen. Fatima ist 10 Monate alt und wiegt nur vier Kilo. Normalerweise, so Miriam Sabri, müsste sie mehr als doppelt so schwer sein. Kein Geld für gesunde Ernährung sei die häufigste Ursache für Unterernährung – vor allem bei Flüchtlingskindern, die in Scharen nach Kabul zurückkommen. Keine guten Aussichten seien das.

Besonders in den ländlichen Gebieten. Wir verlassen Kabul Richtung Westen. Nur ganz wenige Frauen sind überhaupt auf den Straßen zu sehen, und wenn, dann verhüllt. Auf dem Lande hat sich seit der Vertreibung der Taliban so gut wie nichts verändert. Hier ist die Zeit stehengeblieben. Es gibt kaum Hilfsprojekte und auch die neue Kabuler Regierung kann in den Provinzen wenig ausrichten. Das Sagen haben hier nach wie vor die alten Kriegsherren und lokalen Stammesfürsten.

Wachsende Ungeduld

Zurück in der Hauptstadt Kabul besuchen wir in der Universität einen Fortbildungskurs für Ingenieurinnen. Alle hier versammelten Frauen sind Akademikerinnen und haben ihr bereits Studium abgeschlossen. Das ist zum Teil aber schon Jahre her. Und weil sie unter dem Taliban-Regime von jeder Arbeit verbannt waren, wird ihr Wissen jetzt in einem siebenwöchigen Crashkurs aufgefrischt. Gerade Ingenieure werden beim Wiederaufbau benötigt.

Die Diplom Bauingenieurin Meena Ghalib kritisiert die Regierung. Diese sage, es gebe jetzt gleiche Rechte für Frauen. Das seien aber nur leere Worte. Frauen lebten noch immer in einer Männergesellschaft. Frauen würden noch immer diskriminiert. Verglichen mit der Taliban-Zeit gehe es den Frauen zumindest in der Hauptstadt aber schon deutlich besser.

Hilfe aus Deutschland

In Kabul hat im Gegensatz zum Landesinneren der Wiederaufbau begonnen. Doch bisher sind nur ein Bruchteil der zugesagten Hilfsgelder angekommen. Deutschland bildet da eine Ausnahme. Die von Berlin zugesagte Unterstützung ist angelaufen, so wie dieses Straßenprojekt. John Foelsch aus Deutschland leitet die Maßnahme vor Ort. Er hat weltweit viele Projekte in verschiedenen Ländern betreut. In Afghanistan hat er besondere Erfahrungen gemacht.

Der Diplom Bauingenieur berichtet, die Maßnahme solle ein Jahr laufen. Das bedeutete Arbeit und Einkommen für 140 Afghanen. Auch Alana Begum , die Kriegswitwe, ist zumindest dienächsten Monate versorgt. Wie alle hofft sie, daß es irgendwie weitergeht und Frieden herrscht – ein dauerhafter Frieden.

Jürgen Osterhage, ARD-Studio Neu Dehli

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