Der gläserne Arbeitslose – Was der Staat alles wissen will

Hartz vier, Sie wissen es, jenes Gesetz, das ab 1. Januar 2005 die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe regelt, ist heute durch den Bundesrat gegangen. Wir haben eben mit Angela Merkel darüber gesprochen. Nach Ansicht von Rot-Grün, aber auch von Union und FDP muss dieses Gesetz sein, obwohl es zum Teil harte Einschnitte auslösen wird. Die Frage ist, muss es auch sein, dass es in einem für viele ziemlich komplizierten Formularkrieg münden muss und zwar auch für solche Bürger, die sich eh mit solchen Dingen schwer tun. Brigitte Abold berichtet.

Balkonien kennt er zur Genüge: Jürgen Briesemeister, 61, seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Nach über 40 Berufsjahren ist der Schlosser in der Arbeitslosenhilfe gelandet. Jetzt soll er ab 2005 ins neue Arbeitslosengeld. Das bedeutet für ihn erst mal Papierkrieg. 16 Seiten Formulare: Gefragt wird genauer als bisher nach Vermögen wie Auslandskapital, Gemälden, Schmuck. Ärger beim Betroffenen.

Jürgen Briesemeister: „Was soll das hier, diese ganzen Dinger da drinnen, die ich eben gesehen habe, dass die wissen wollen von Bankvermögen und Vertragspartner bei Kapitalversicherungen, so was alles. Das ist doch ein Unding. Das hat doch kein Mensch, der langzeitarbeitslos ist.“

Mit seiner Mutter hat der Ledige hier lange gewohnt. Würde sie noch leben, könnte ihr Vermögen künftig auf sein Arbeitslosengeld angerechnet werden, meint die zuständige Behörde. Das Ministerium verneint dies, das sei vom Tisch. Aber alle, die in einer Kleinfamilie lebten, verheiratet oder nicht, müssten füreinander aufkommen, also nicht Onkel, Tanten und Geschwister. Wer letzten Endes für wen einstehen muss, das wird in der Arbeitsagentur gern hinter Amtsdeutsch versteckt.

Konrad Tack, Agentur für Arbeit, Berlin: „Dazu gehören als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wiederum der Ehegatte, der nicht erwerbsfähige Hilfsbedürftige, der in eheähnlicher Gemeinschaft mit dem Bedarfsträger oder Bedarfsempfänger lebt.“

Schlangestehen für die Sozialhilfe: Der 31jährige Helge Rohde lebt seit eineinhalb Jahren davon. Nach einem abgebrochenen Informatikstudium zählt er, da erwerbsfähig, künftig ebenfalls zu den Beziehern des neuen Arbeitslosengeldes. Für ihn mehr Aufwand.

Helge Rohde: „Ich nehme an, dass ich Dinge doppelt ausfüllen muss. Das kenne ich ja hier, dass man ständig alles zehnmal sagen muss. Wird wohl noch schlimmer werden. Das wird sich da auch nicht ändern. Im Gegenteil, das wird wohl noch schlimmer werden. Wenn ich höre, 16 Seiten, dann sind das mindestens zwölf Seiten zuviel, würde ich sagen.“

Vom Sozialamt und den Gewerkschaften Kritik an den Formularen der Bundesagentur. De alten Sozialhilfe-Anträge seien einfacher.

Stefan Dube, Sozialamt Berlin: „Der mir bekannte Antrag der Bundesagentur für Arbeit für die Beantragung von SGB-II-Leistungen umfasst ganze sechzehn Seiten, ist noch inhaltsreicher und meines Erachtens noch bürgerunfreundlicher konzipiert.“

Ursula Engelen-Kefer, Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit, DGB-Vizechefin: „Wir wollten ja eigentlich Bürokratie abbauen und das wird leider hierdurch nicht erreicht, eher umgekehrt.“

Die Arbeitgeber im Verwaltungsrat der Bundesagentur sehen das anders. Ein einmaliger Vorgang, damit dann bessere, weniger bürokratische Zeiten anbrechen, heißt es. Der zuständige Minister findet, die Diskussion kreise um Nebensächlichkeiten. Dahinter verberge sich oft die Ablehnung der Zusammenlegung von Arbeitslosen -und Sozialhilfe. Er findet den Antrag …

Wolfgang Clement, SPD, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit: „… ganz simpel. Es sind nämlich weniger als bisher ausgefüllt werden musste. Jeder Sozialhilfeempfänger musste heute persönlich ein solches Formular ausfüllen. Das war umfangreicher und jeder einzelne einer Bedarfsgemeinschaft, wie es so schön heißt, also einer Familie, musste das ausfüllen.“

Jürgen Briesemeister jedenfalls hat noch viele Fragen. Er will sich damit aber nicht an die Ämter wenden, sondern lieber an die Gewerkschaften.

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