„Ewiger Protegé“ zwischen Gut und Böse

Von Siegfried Buschschlüter, DLF-Korrespondent Washington

Ohne Strauss hätte sein Leben sicher einen anderen Lauf genommen. Nein, nicht Johann oder Richard, und auch nicht Franz-Josef, sondern Leo: Der politische Philosoph Leo Strauss. Ein deutscher Jude, 1899 im hessischen Kirchhain geboren, 1938 vor den Nationalsozialisten nach Amerika geflüchtet.

Von ihm lernte Paul Wolfowitz an der Universität von Chicago Respekt vor den Klassikern, Plato und Aristoteles. Von der Aufklärung hielt Strauss wenig, in der Moderne sah er eine Zeit des Verfalls, kritisierte den Relativismus der Werte und moralische Toleranz. Für eine gebildete Elite plädierte er und für starke Führungspersönlichkeiten. In Winston Churchill sahen er und seine Schüler ihr großes Vorbild.

„Gut“ und „Böse“, „Tugend“ und „Laster“

Während der Präsidentschaft Ronald Reagans trafen sich die Straussianer in Washington regelmäßig zu Churchills Geburtstag, rauchten Zigarren und tranken Brandy. Und als Reagan die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ attackierte, triumphierten die Straussianer, war es doch ihr Lehrer, der immer wieder von „Gut“ und „Böse“, von „Tugend“ und Laster“ in der Welt gesprochen hatte.

Zwei Kurse über politische Theorie belegte Wolfowitz bei Strauss, einen über Plato, den anderen über Montesquieu. Dass er seinem Professor besonders nahegestanden habe, hat er jedoch immer bestritten. Das Etikett „Straussianer“ gefalle ihm nicht besonders, weil er Etiketten generell nicht möge, sagte er einmal. Das hielt ihn aber nicht davon ab, immer wieder mal an einem Picknick teilzunehmen, das die Anhänger von Leo Strauss jedes Jahr am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag, zu Ehren ihres 1973 verstorbenen Vordenkers in Washington veranstalten.

Prägung durch Strauss und Bloom

Wolfowitz sei zur Zeit seines Studiums an der Universität von Chicago politisch noch nicht aktiv gewesen, schreibt James Mann in seinem Buch „Rise of the Vulcans“, der Geschichte des Kriegskabinetts von George Bush. Dass er jedoch in seiner politischen Laufbahn von Strauss und dessen Schüler Allan Bloom geprägt wurde, davon sind auch heute noch seine Freunde überzeugt. So verweisen sie darauf, dass Wolfowitz sich den Kampf gegen Tyrannei und die Verurteilung des Bösen in der Welt auf die Fahnen geschrieben habe.

Bloom lernte er an der Cornell University kennen. Da lehrte auch sein Vater Jacob. In Warschau geboren, war Jacob Wolfowitz mit seinen jüdischen Eltern im Alter von zehn Jahren nach Amerika gekommen. Nach dem Studium am New Yorker City College lehrte Jacob Wolfowitz Mathematik und wurde einer der führenden Experten des Landes für Statistiktheorie.

Auch sein Sohn Paul, 1943 in New York geboren, studierte zunächst Mathematik und Chemie. In Cornell wurde er Mitglied der Telluride Association, einer ausgewählten Gruppe von Stipendiaten, der später auch der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der Präsidentschaftskandidat Alan Keyes, der Geheimdienstexperte Abram Shulsky und der Sowjetexperte Stephen Sestanovich angehören sollten.

Doktorarbeit gegen israelische Atomwaffen

Seine Doktorarbeit schrieb Wolfowitz an der Universität von Chicago. Das Thema: „Nukleare Proliferation im Nahen Osten: Politik und Wirtschaft der nuklearen Wasserentsalzung“. Darin setzte er sich mit Nachdruck gegen Atomwaffen in der Hand Israels ein, mit der Begründung, dass die arabischen Staaten versuchen würden, ebenfalls atomar aufzurüsten.

Sein Doktorvater war der Politikwissenschaftler Albert Wohlstetter, Berater mehrerer US-Regierungen in Fragen der Atomkriegsstrategie und führender Kopf einer konservativen Gruppe von Verteidigungsexperten. Unter ihnen war auch Hermann Kahn, Vorbild der Kubrick-Filmfigur Dr. Strangelove (deutsch: „Dr. Seltsam“).

Ewiger Protegé

Von 1972 bis 2000 wechselte Wolfowitz wiederholt zwischen Hochschule und Regierungstätigkeit, wobei er zu keinem Zeitpunkt, wie James Mann in seinem Buch schreibt, gegen seine politischen Mentoren, wer immer sie waren, aufbegehrte. Nie habe er auf Führungspositionen gedrängt, sei auch nie für die höchsten Ämter rekrutiert worden.

Ob der ewige Protegé, der als stellvertretender Pentagonchef mehr als jeder andere mit dem Irak-Krieg identifiziert wurde, der richtige Mann an der Spitze der Weltbank ist, darauf lassen weder seine akademische Laufbahn noch seine politische Karriere Rückschlüsse zu. Aber ohne Strauss wäre sein Leben sicher anders verlaufen.

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