Polnische Homosexuelle demonstrieren für ihre Rechte

Unter massivem Polizeischutz haben etwa 5000 Menschen in Warschau für die Rechte von Schwulen und Lesben in Polen demonstriert. Zum ersten mal seit Jahren hatte die Stadtregierung die Parade genehmigt. Rechtsradikale Gruppen versuchten mehrfach vergeblich, den Zug zu stören.

Von Daniel Kaiser für tagesschau.de

Zwei Männer küssen sich – und das mitten auf der Marszalkowska, dem großen Warschauer Boulevard. Für viele Polen ist das auch heute noch ein schwer verdaulicher Anblick. Und auch bei der Schwulenparade sind die beiden ein echter Hingucker. Denn Kuscheln zwischen Männern geht in Polen nur unter Polizeischutz.

Eine rechtsradikale Gruppe am Rande skandiert schwulenfeindliche Slogans, hält Transparente hoch und droht den Homosexuellen Prügel an. Immer wieder taucht am Straßenrand eine Handvoll dieser Randalierer – junge Männer, Anfang zwanzig – auf, die versuchen, die Demonstration zu stören. Aber ihre Versuche werden sofort eingedämmt. Eine schier unüberschaubare Zahl von Polizisten mit Schutzwesten und Schlagstöcken schützt den Zug.

Selbst die friedlichen Gegendemonstranten, die mit ihren Transparenten dezent darauf hinweisen, dass Gott „Adam and Eve“ und nicht etwa „Adam and Steve“ erschaffen habe, sehen sich sofort von einem Pulk Polizisten umgeben.

Polizei greift entschlossen durch

Brenzlig wird es erst am Sächsischen Garten. Zwischen den Bäumen verstecken sich rechtsradikale Randalierer und schreien Hasstiraden. Vermummte Anarchisten aus dem Demonstrationszug durchbrechen ihrerseits die Polizeisperre. Jagdszenen im Park spielen sich ab. Aber die Polizei greift schnell durch und nimmt Randalierer auf beiden Seiten fest.

„Die polnische Regierung weiß, dass es ihr zur Last gelegt wird, sollte hier etwas schief laufen“, sagt der Grüne Volker Beck. Mit ihm sind einige hundert Deutsche angereist, um die Schwulen und Lesben in Polen zu unterstützen. Obwohl er sich unlängst bei der Demo in Moskau eine blutige Nase geholt hat, geht Beck eingehakt bei Claudia Roth und Renate Künast durch die Warschauer Innenstadt: „Bei solchen Demos ist einem immer mulmig, aber man darf gerade dann nicht zurückweichen“, sagt der Politiker.

„Polen muss beweisen, dass es ein Rechtsstaat ist“

Auch Comedian Thomas Hermanns protestiert in Warschau. Er ist über den massiven Polizeieinsatz erleichtert: „Polen muss heute beweisen, dass es ein Rechtsstaat ist“, sagte er. Sabine dagegen misstraut den polnischen Sicherheitskräften. Sie trägt einen Helm. „Sicher ist sicher“, sagt die 43-jährige Architektin aus Berlin. „Beim letzten mal sind ja hier Steine geflogen.“

Diesmal hat sie den Helm nicht gebraucht. Karnevalsstimmung wie bei den Schwulenparaden in Deutschland will aber trotzdem nicht aufkommen. Vor den Lautsprechern der beiden Trucks tanzen nur wenige. Es ist eine politische Demonstration. „Hier geht es noch um was“, sagt Kai Reinecke, der genau deshalb extra aus Hamburg angereist ist.

Nur zwei grell geschminkte Transvestiten sind dabei. Aber sie gehen im großen Zug unter. „Ich bin ganz froh, dass sich hier nicht so viele ausstaffiert haben“, sagt Kathi Winzer aus Bonn. „Das wäre für den Marsch nicht so gut gewesen. Und so beherrschen politische Transparente und bunte Luftballons die Parade. „Bleibt stark in der Toleranz“ lautet etwa der Spruch auf einem Transparent und erinnert kritisch an das Motto des Papstbesuches in Polen „Bleibt stark im Glauben“.

Skepsis und Misstrauen bleiben

Abgesehen von einigen radikalen Störern verläuft der Marsch ohne Zwischenfälle. Nur vereinzelt pöbeln Menschen am Straßenrand. Fast immer sind es Männer, die Mehrzahl offensichtlich betrunken. Die meisten Warschauer schauen interessiert, aber mit verschränkten Armen zu. Skepsis und Misstrauen gegen Homosexualität sitzen tief: „Ich trage meine Sexualität doch auch nicht zur Schau“, meint eine Passantin.

Und so wird jedes freundliche Winken von einem Balkon vom Demonstrationszug mit frenetischem Jubel beantwortet. „Bei uns hat das mit der Akzeptanz auch lange gedauert. Die Leute hier merken jetzt langsam, dass Schwule und Lesben friedlich sind und dass sie niemandem etwas zuleide tun wollen“, sagt Volker Beck.

Bis zur Gleichheit ist es noch ein langer Weg

Am Ende strahlen die Organisatoren: Der Gleichheitsmarsch war ein Erfolg. Nach den schwulenfeindlichen Äußerungen hochrangiger polnischer Politiker in den letzten Wochen ist das ein gutes Zeichen. Aber ohne den massiven Polizei-Einsatz wäre die Situation wohl mit Sicherheit eskaliert. Bis Männer und Frauen auch ohne den Schutz der Polizei Hand in Hand durch eine polnische Großstadt gehen können, wird wohl noch viel Zeit vergehen.

„Was wird passieren, wenn wir wieder weg sind?“, fragt sich Grünen-Chefin Claudia Roth. „Die Organisatoren bekommen schon jetzt Morddrohungen. Ich mache mir große Sorgen. Und so lange das so ist, werden wir auch wiederkommen.“

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