Die Tücke mit der Lücke bei den Ausbildungsplätzen

Ein Thema, das ganz besonders jungen Leuten auf den Nägeln brennt, sind die fehlenden Ausbildungsplätze. Zwischen 30.000 und 50.000 fehlen nach wie vor und das, obwohl jeder weiß oder wissen könnte: Eine Gesellschaft, genauer, eine Wirtschaft, die die jungen Leute nicht ausbildet, hat keine Zukunft. Alex Jakubowski und Thomas Kreuzmann mit einem Blick auf das, was sich grade bei den jungen Leuten tut, die wollen, aber keine Gelegenheit zum Berufseinstieg bekommen.

Von Thomas Kreutzmann und Alex Jakubowski

Freitag, letzter Schultag. Philipp, Vincent und Patrick verlassen als frischgebackene Fachabiturienten das Oberstufenzentrum im Berliner Stadtteil Lichtenberg.

Philipp Behnke, 19 Jahre, Fachabiturient: “Ja, am letzten Schultag. Was soll man sagen? Viele gehen pessimistisch nach Hause, weil bei vielen – so auch bei mir – es noch nicht geklappt hat mit der Ausbildung. Und ja, man ist halt auch irgendwo frustriert.“

Philipp bewirbt sich schon lange vergeblich um eine Lehrstelle.

Behnke: “Das sind die 120 Bewerbungen, die ich in den letzten zwei Jahren geschrieben habe. Da sind unter anderem Bewerbungen an die Deutsche Bahn AG, Bewag und kleinere Unternehmen drinnen.“

Genau solche kleineren Unternehmen berät Sandra Theede von der IHK Berlin. Mittlerweile schickt die Kammer jeden zehnten ihrer 200 Mitarbeiter los, um Lehrstellen einzuwerben. Im Blumenladen hat sie Erfolg.

Elis Baier, Floristin: “Ich bin schon immer dafür gewesen, Azubis auszubilden. Ich liebe die Arbeit mit diesen jungen Menschen. Vor allem: Ich bin ja selber eigentlich noch jung.“

Erst seit einem Jahr existiert ihr Laden und er läuft so gut, dass sie sich jetzt traut, das Risiko einer Ausbildung einzugehen. Finanzielle Probleme sind die häufigsten Gründe dafür, nicht auszubilden.

Sandra Theede, IHK Berlin: “Man verpflichtet sich ja schon für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren. In dem Beruf hier, beim Florist für drei Jahre. Und das muss man natürlich gerne absehen können. Man übernimmt ja eine Verantwortung.“

Nach der Ausbildung will die junge Floristin den künftigen Azubi übernehmen.
Und sie wird jetzt, zum Beginn des Ausbildungsjahres, eine Lehrstelle ausschreiben. Verständnis für größere Unternehmen, die nicht ausbilden, fehlt ihr völlig.

Baier: “Ich will jetzt keine Namen nennen, aber alles, was über 100 Mitarbeiter ist: definitiv nicht. Also, ich glaube schon, dass das heute jeder irgendwie tragen könnte.“

Es könnte bei den Konzernen viel besser sein, so die Grünen, aber es sei asozial, wenn Großunternehmen nicht ausbilden. Zur Brust nimmt sich der grüne Parteichef Adidas, als angeblich Ausbildungsfaulstem unter den 30 Konzernen im Deutschen Aktienindex. Nur zwei Prozent aller deutschen Mitarbeiter seien dort Azubis.

Reinhard Bütikofer, B´90/Grüne: “Adidas hat mehr Fußball-Millionäre unter Vertrag als Auszubildende.“

Für Adidas in Herzogenaurach spielen die Kritiker aus der Politik Foul. Der Konzern selbst spricht von acht Prozent Ausbildungsquote, wenn man Praktikums- und Trainee-Stellen zu den klassischen Ausbildungsplätzen hinzuzähle.

Matthias Malessa, Adidas: “Wir finden es halt sehr schade, dass man gerade die leistungsfähigsten Unternehmen dieses Landes für solche Kritik und für den Transport von solchen eher populistischen Themen – aus unserer Sicht – missbraucht.“

Björn Böhning, Jungsozialisten: “Junge Menschen brauchen eine Perspektive in der Bildung und nicht nur eine Beschäftigung, die vielleicht einige Wochen oder Monate dauert, sondern wir brauchen richtige Ausbildungsplätze und die schafft Adidas nicht.“

„Scheiß Spiel“, meinen Jusos und SPD, die zuständigen Minister von der Union hätten zu lange im Abseits gestanden.

Hubertus Heil, SPD-Generalsekretär: “In diesen Zusammenhang sind auch die zuständigen Bundesminister gefragt, sich mehr als bisher zu engagieren. Das betrifft den Bundeswirtschaftsminister Glos, aber auch die Bundesbildungsministerin Frau Schavan.“

Michael Glos, CSU, Wirtschaftsminister: “Ich kommentiere nicht die Reaktion von jungen Partei-Generalsekretären. Die haben besondere Funktionen.“

Annette Schavan, CDU, Bundesbildungsministerin: “Wir werden mit vielen Firmen in den nächsten Wochen sprechen. Ich werde viele Firmen besuchen.“

Jetzt hat die Kanzlerin persönlich erst mal den Firmen geschrieben: „Ich möchte Sie aufrufen, in ihrem Unternehmen neue Ausbildungsplätze zu schaffen und jungen Menschen die Chance auf einen qualifizierten Berufseinstieg zu geben.“

Das freut dann auch den Koalitionspartner:

Kurt Beck, SPD-Vorsitzender: “Ich glaube schon, dass der Brief an rund 250 große Unternehmen eine Wirkung haben wird. Wir begleiten diese Anstrengung der Kanzlerin. Dieser Brief ist ja auch ein Ergebnis eines Gespräches in der Koalitionsrunde. Aber es bedarf der zähen Kleinarbeit.“

Bei großen Zahlen. Ob dieses Jahr 30- oder 50.000 oder noch mehr Lehrstellen fehlen, das weiß keiner so genau. Die Zeit drängt, im September beginnt das Ausbildungsjahr. Philipp Behncke sucht Alternativen.

Philipp Bencke: “Ich kenne halt einige Leute, die in den näheren Anrainerstaaten, Österreich, Schweiz als Aushilfskräfte angefangen haben und jetzt teilweise schon Lehrausbildungen machen. Ja, und so stelle ich mir das dann auch vor, dass man halt auch aus dem Wohnort weggehen muss.“

Auswandern, weil Lehrstellen fehlen: Für Philipp könnte das bittere Wahrheit werden.

Kontakt zu den Autoren: internet@ard-hauptstadtstudio.de

Original, Google Cache, archive.org

Dieser Beitrag wurde unter tagesschau.de abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.