Kardinal Bertone wird neue Nummer zwei

Schon länger war darüber spekuliert worden, nun ist es offiziell: Kardinal Bertone wird neuer Kardinalstaatssekretär und damit Regierungschef im Vatikan. Der 71-Jährige machte zuletzt durch scharfe Kritik an Dan Browns Buch „Sakrileg“ von sich reden.

Von Gregor Hoppe, ARD-Hörfunkstudio Rom

Papst Benedikt XVI. hat die derzeit am längsten gewälzte Personalfrage der Vatikanbeobachter beantwortet. Kardinal Tarcisio Bertone wird neuer Kardinalstaatssekretär. Dieser ist in weltlichen Dingen die Nummer zwei, eine Art Regierungschef – allerdings unter einem mit absoluter Macht regierendem Papst.

Der 71-jährige Bertone, Erzbischof von Genua, folgt Kardinal Angelo Sodano nach, der seit 1990 dieses Amt bekleidet hatte. Vor allem in den letzten Regierungsjahren Johannes Pauls II. war die Kritik an Sodano hinter vorgehaltener Hand nie verstummt. Zuletzt, als Sodano kurz vor dem Tod Karol Woitylas erneut die Frage aufwarf, ob der Papst nicht abdanken sollte – was zum damaligen Zeitpunkt klar gegen die vatikanische Staatsräson verstieß. Zudem wird Sodano im kommenden Jahr 80 Jahre alt, und ist damit klar über der Altersgrenze von 75 Jahren, bei deren Erreichen Kurienkardinäle dem Papst ihren Rücktritt anbieten müssen.

Konservativ, mediengewandt und streitbar

Dass Benedikt XVI. ein Jahr lang damit wartete, solche Fragen anzupacken, werteten Beobachter als Schritt zur Vertrauensbildung nach dem Wechsel auf dem Stuhl Petri. Nun scheint die Zeit reif für weitere Umbaumaßnahmen: Tarcisio Bertone hat sieben Jahre lang, von 1995 bis 2002, als Stellvertreter und Sekretär des damaligen Präfekten Josef Ratzinger in der päpstlichen Glaubenskongregation gearbeitet. Er gilt als ebenso konservativ wie mediengewandt – und streitbar.

„Sakrileg“-Kritik im Alleingang

So wandte er sich zuletzt sehr entschieden gegen den Buchbestseller „Sakrileg“ des US-Autors Dan Brown. „Ich denke, die schlimmste Konditionierung, die davon ausgeht, ist, dass man angeblich kein moderner junger Mensch mehr sei, wenn man ‚Sakrileg‘ nicht gelesen hat“, so Bertone. „Es herrscht auch an den Schulen jetzt die irrige Meinung vor, man müsse es gelesen haben, um die ganze Dynamik der Geschichte zu begreifen und der Manipulationen, die die Kirche in deren Verlauf angestellt habe. Und das ist schmerzlich und schrecklich. Wir sind auf die Verbreitung dieses Buchs auch in den Schulen aufmerksam geworden und haben daher Vorbereitungen getroffen, Überlegungen und Gegenmaßnahmen, auch öffentliche und entschiedene.“

Auffällig war, dass die Kirchenspitze in diesem Fall eher Zurückhaltung übte. Bertone wandte sich, ohne damit anzuecken, auf eigene Faust an die Gläubigen: „Mein Appell heißt: Lest dieses Buch nicht, kauft es vor allem nicht.“ Für die eigene Sache bedient sich Bertone gern der Medien und der Öffentlichkeit. So trat er bei Fußballspielen schon mal als Co-Kommentator des Fernsehens auf.

Mann für heikle Angelegenheiten

Darüber hinaus gilt Bertone als Mann für heikle Angelegenheiten. Er war in die Enthüllung des sogenannten dritten Geheimnisses von Fatima eng eingebunden, unterhandelte mit den von Rom abtrünnig gewordenen Anhängern des konservativen Erzbischofs Lefevre, der gegen die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils aufbegehrte.

Und es war Bertone, der die Angelegenheit Milingo wieder ins Lot brachte: Der Erzbischof aus Sambia, Emmanuel Milingo, hatte vor fünf Jahren das Zölibat gebrochen und ein Mitglied der Mun-Sekte geheiratet, kehrte aber zum Glauben und in die Obhut der Kirche zurück – unter anderem auf Bertones drängende Ratschläge hin.

So wirkt es wie eine grimmige Ironie am Rande, dass der Vatikan am Tag, da er Bertones Ernennung zum Kardinalstaatssekretär verlautbart, wiederum Milingos Verschwinden mitteilt. Der Bischof sei aus seinem Aufenthaltsort Zagarolo bei Rom verschwunden, heißt es. Es handle sich aber nicht um eine neuerliche Flucht. Die Kirche sei besorgt.

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