Sind die Soldaten ausreichend ausgebildet?

Nach den Totenschädel-Fotos stellt sich die Frage: Wie erklären sich solche Entgleisungen und was tut die Bundeswehr-Führung dagegen? Werden die Soldaten eigentlich ausreichend auf ihre Einsätze im Krisengebiet vorbereitet? Christian Thiels und Florian Bauer haben für den „Bericht aus Berlin“ Soldaten bei der Ausbildung beobachtet.

Von Christian Thiels und Florian Bauer

Für manche Bundeswehrsoldaten liegt Afghanistan vor dem ersten Flug nach Kabul in der Süd-Pfalz. Denn im Luftwaffen-Ausbildungszentrum in Germersheim wird der Einsatz trainiert. Zum Beispiel anhand von „Begegnungen“ mit einer Hochzeitgesellschaft, bei der die Gäste mit Sturmgewehren bewaffnet sind – landestypisch eben. Dass die „Afghanen“ bei der Auseinandersetzung mit den Bundeswehrsoldaten Deutsch sprechen ist dabei nicht wichtig.

Die Soldaten müssen lernen, auf Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten richtig zu reagieren. „Man muss beispielsweise daran denken, dass in Afghanistan die linke Hand unrein ist, dass man also beispielsweise nie – auch wenn man es gut meint – einem Kind die linke Hand auf den Kopf legt. Das Kind würde damit unrein“, erklärt Oberstleutnant Wolfgang Ohl, Leiter des Ausbildungszentrum, mit Nachdruck.

Für jedes Einsatzgebiet eine Ausbildung

Die Bundeswehr legt großen Wert auf eine realistische Ausbildung. Für jedes Einsatzgebiet gibt es unterschiedliche Lektionen. Für den Kongo wird anders trainiert als für Afghanistan. Die Inhalte werden zudem ständig aktualisiert. Dazu schickt die Armee auch ihre Ausbilder regelmäßig dorthin, wo deutsche Soldaten stationiert sind.

Auch die US-Armee trainiert ihre Soldaten mit Rollenspielen. Doch dabei geht es eher um Geballer als um Gespräche. Die Amerikaner konzentrieren sich auf das militärische Handwerk. Die Soldaten sollen instinktiv reagieren, um ihr eigenes Leben zu schützen. Da bleibt im Ausbildungsplan nur wenig Zeit für Landeskunde und Sprachkurse.

Das Auftreten von US-Truppen im Irak oder in Afghanistan gilt vielen Kritikern deshalb als zu rücksichtslos und ruppig – und ist möglicherweise auch ein Grund, warum US-Truppen so oft Ziel von Anschlägen sind. Der Schutz davor wird inzwischen auch trainiert.

Die Situation wird immer gefährlicher

Doch auch die deutlich sensibler ausgebildeten Deutschen werden nicht mehr von Attentaten verschont: Im November 2005 starb bei einem Anschlag in Kabul ein deutscher Soldat. Ein zweiter wurde schwer verwundet. Seitdem hat sich die Lage stetig verschärft. „Nicht ruhig“ und „nicht stabil“ heißt das offiziell. Für die Soldaten selbst heißt es ständige Lebensgefahr.

Der Bundeswehrpsychologe Norbert Kröger verweist auf den Stress für die Soldaten durch die ständige Bedrohung. „Wenn sie ihre Patrouille fahren, sind die Belastungen enorm hoch. Sie haben ja immer irgendwo eine Erwartung, es könnte ihnen etwas passieren.“

Militärische Vorbereitung ist nicht alles

Deshalb trainieren auch die deutschen Soldaten inzwischen mehr Bedrohungssituationen, denn richtiges Handeln ist im Einsatz überlebenswichtig. Allerdings ist die militärische Vorbereitung nicht alles. „Möglicherweise sind durch dieses Situationstraining die handwerklichen Fähigkeiten etwas in den Vordergrund gerückt“, meint Brigadegeneral Alois Bach, Kommandeur des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz. Man versuche aber auch, „in die Köpfe der Führer hineinzubringen, dass die ethischen Dimensionen unseres Berufes besonders mitentscheidend für den Erfolg sind – insbesondere im Auslandseinsatz“, sagt Bach.

Im Zentrum Innere Führung wird versucht, Truppenführer für die ethische Seite des Soldatseins zu sensibilisieren. Es geht um die Fähigkeit, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen. Die „interkulturelle Kommunikation“ ist fester Bestandteil der Ausbildung für Auslandseinsätze. Sie soll nun verstärkt werden, um einer möglichen Verrohung in den Einsätzen entgegenzuwirken. Doch auch diese Kurse können offenbar nicht verhindern, dass deutsche Soldaten immer wieder schwere Verfehlungen begehen.

Kommandeur Bach erklärt das so: „Normalerweise werden natürlich gesellschaftliche Phänomene in die Bundeswehr hineingetragen. Wir merken das auch. Das heißt, auch bei der Wertevermittlung stellen wir bei jungen Leuten Defizite fest, die wir versuchen abzubauen.“

Spiegelbild der Gesellschaft

Und auch wenn die politische Führung der Armee angekündigt hat, gegen all diejenigen hart vorzugehen, deren Wertebasis offenbar brüchig ist, muss sie zugeben, dass sie eigentlich nur wenig dagegen tun kann. „Natürlich ist die Bundeswehr ein Stück ein Spiegelbild der Gesellschaft, und auch in unserer Gesellschaft gehen teilweise Werte etwas verloren“, stellte etwa Verteidigungsminister Franz Josef Jung fest.

In der Gesellschaft sinken die Hemmschwellen, die Gewalt an den Schulen nimmt zu. Der mediale Einfluss wächst, sagen Soziologen: Brutale Computerspiele gehören zum Alltag vieler Jugendlicher.

„Der Preis regelt den Markt“

„Deswegen müssen wir ganz genau aufpassen, wen wir in diese Armee als Nachwuchs holen“, warnt Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverband. „Das regelt sich am Markt über den Preis, und wer Soldaten so miserabel bezahlt, wie wir das tun, muss sich nicht wundern, dass er zu dem Preis, den er bietet, nur die Qualität bekommt, die verfügbar ist.“

Ob die Luftwaffen-Soldaten aus Germersheim die nötige Qualität haben, wird sich zeigen wenn sie im wirklichen Afghanistan ihren Dienst aufnehmen.

Original, Google Cache, archive.org

Dieser Beitrag wurde unter tagesschau.de abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.