Der „Bischof der Armen“ übernimmt die Macht

61 Jahre lang regierte die konservative Colorado-Partei Paraguay, eines der ärmsten Länder Südamerikas. Nun übernimmt ein Politik-Neuling die Macht: Bei der Präsidentenwahl erhielt der Oppositionelle und frühere Bischof Lugo die meisten Stimmen. Die Erwartungen an ihn sind hoch.

Von Gottfried Stein, ARD-Hörfunkstudio Südamerika

Bis in die Nacht feierten zehntausende Menschen in Straßen der Hauptstadt Asuncion das historische Ereignis: Fernando Lugo, der „Bischof der Armen“, hat die Präsidentenwahl gewonnen. Die Anhänger Lugos konnten ihr Glück kaum fassen: „Ich kann die Freude gar nicht beschreiben, die ich empfinde“, sagte eine Frau. „Ich habe Hoffnung, dass dieser Präsident die Lage im Land wirklich verbessert. Wir sind ganz unten, die Hälfte der Familien des Landes lebt im Ausland, weil es hier nichts zu Essen gibt. Arme und Bettler gibt es, und das muss sich ändern“.

Ehrenhaft und effizient statt korrupt

Paraguay gilt als eines der korruptesten und ärmsten Länder Lateinamerikas. Über 60 Jahre war die konservative Colorado-Partei an der Macht, 35 Jahre Diktatur unter General Alfredo Strössner eingeschlossen. Jetzt hat der ehemalige Bischof von San Pedro mit seiner erst vor neun Monaten geschlossenen Allianz aus Oppositionsparteien, Gewerkschaften und sozialen Gruppen das Wunder vollbracht.

„An unser Land soll man nicht nur im Zusammenhang mit seiner Korruption, seiner Armut denken, sondern auch wegen seiner Ehrenhaftigkeit und  Effizienz“, so Lugo. Nie mehr solle die politische Klasse in Paraguay auf der Grundlage von Vetternwirtschaft Politik betreiben und „aufgrund ihrer Pfründe, was der Politik in unserem Land so viel Schaden zugefügt hat“. Lugo, der von seinen politischen Gegnern als Handlanger des Linkspopulisten Chavez und Freund der Farc-Guerilla beschimpft worden war, forderte alle Parteien zur Mitarbeit auf.

Regierungspartei gesteht Niederlage ein

Die Angst seiner Anhänger vor einem Wahlbetrug erwies sich als unbegründet. Blanca Ovelar, die Kandidatin der Regierungspartei, hatte vergeblich gehofft, die erste Frau im höchsten Staatsamt zu werden. Sie gestand ihre Niederlage unumwunden ein: „Wir haben als Demokraten gesagt, dass wir das Ergebnis der Wahlen anerkennen werden. Deshalb sind wir heute hier, um uns an dieses noble Volk zu wenden, ihm zu seinem Verhalten zu gratulieren und um zuzugestehen, dass das Ergebnis unumstößlich ist. Wir erkennen den Triumph von Fernando Lugo an“.

Enorme Erwartungen

Erst vor zwei Jahren hatte der 2005 von seinem Priesteramt zurückgetretene Lugo seine Bereitschaft erklärt, gegen die Colorados, die weite Teile des Staates beherrschen, anzutreten. Trotz eines Wirtschaftaufschwungs war es dem amtierenden Präsidenten Nicanor Frutos nicht gelungen, die enormen sozialen Probleme des Landes zu mindern – was den Frust vieler Menschen über die Regierung und den Wunsch nach einem radikalen Wechsel verstärkt hatte: „Ich bin Großmutter, ich wurde unter einer Colorado-Regierung geboren, stellen Sie sich das vor“, rief eine ältere Passantin. „Erst jetzt kann ich feiern, dass die Colorado-Partei bei einer Wahl nicht gewonnen hat. Wir sind sehr glücklich, aber das ist nicht der einzige Grund. Unser Land braucht wirklich einen Wandel und Lugo ist die Person, die uns diesen Wandel bringen wird“.

Die Erwartungen an den 56-jährigen Ex-Priester sind enorm. Gut ein Drittel der Bevölkerung lebt in bitterer Armut, hunderttausende haben dem Land den Rücken gekehrt. Lugo will mit einer Landreform vor allem der Landbevölkerung helfen. Außerdem will er mit den Nachbarn Brasilien und Argentinien Verträge über gemeinsame Kraftwerke neu verhandeln und damit die Einnahmen für Sozialprogramme verbessern.

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