Liegen im Massengrab Typhus-Tote?

Ein Zeitzeuge hat für die Untersuchung eines Massengrabs in der heute polnischen Stadt Marienburg möglicherweise einen entscheidenen Hinweis gegeben. 1945 sei Typhus ausgebrochen – daran könnten rund 1800 deutsche Bewohner der Stadt gestorben sein.

Von Thomas Rautenberg, ARD-Hörfunkstudio Warschau, z.Zt. Marienburg

Ist es der Schlüssel zum tragischen Geheimnis der etwa 1800 deutschen Kriegstoten, deren Gebeine derzeit im nordpolnischen Malbork, dem früheren Marienburg, exhumiert werden? Der ermittelnde Staatsanwalt Piotr Wojciechowski  jedenfalls hält die Erinnerungen eines über 70-jährigen Deutschen, der zum Kriegsende in der Nähe von Marienburg gewohnt hatte,  für durchaus glaubwürdig.

Der Mann hatte erklärt,  in dem Massengrab seien seinerzeit offenbar Opfer einer Typhus-Epidemie bestattet worden. „Diese Möglichkeit wurde auch bei unseren Ermittlungen bereits in Betracht gezogen. Als sich nämlich herausstellte, dass alle Menschen nackt begraben worden waren, gingen die Archäologen vor der These aus, dass alle Bekleidungsstücke aus Angst vor einer Typhus-Infektion verbrannt worden sind“, sagt der Staatsanwalt. „Jetzt bestätigt dieser Mann, dass zum Kriegsende in Marienburg Typhus grassierte und dass Deutsche die Opfer einsammeln und bestatten mussten.“

Kopfschüsse für die Bestatter?

Damit hätten die Ermittler auch eine Antwort auf die Frage, warum etwa 30 der aufgefundenen Opfer Einschusslöcher im Schädel hatten. In Marienburg, das die Deutschen als Festungsstadt nahezu drei Wochen lang gegen die Rote Armee verteidigt hatten, gab es anschließend für sie keine Gnade, mutmaßt der Chef der deutschen Minderheit im heutigen Malbork, Jerzy Fryc: „Ich denke, die, die  noch da waren, wurden gezwungen, die anderen Opfer an dieser Stelle zu begraben. Und danach sind wahrscheinlich auch die umgekommen, die aufgeräumt haben. Denn bei einigen Opfern wurden im Schädel Einschusslöcher entdeckt, was darauf hinweist, dass diese Zeugen später getötet wurden.“

Polnisch-deutsche Untersuchung der Knochen

In zwei Leichtbaucontainern auf dem Marienburger Friedhof sind die sterblichen Überreste der knapp 1800 Kriegstoten derzeit gelagert. Bis Ende Januar sollen die Exhumierungsarbeiten abgeschlossen sein. Danach werden polnische und deutsche Spezialisten die Knochenfunde auch auf Spuren einer früheren Typhus-Infektion hin untersuchen.

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