Im Land der Regenkönigin

Bei der UN-Klimaschutzkonferenz in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires geht es heute um weitere Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen. Außerdem soll die Frage erörtert werden, ob die Erderwärmung wenigstens noch abzuschwächen ist. Rund 5000 Teilnehmer aus 189 Staaten wollen bis zum 17. Dezember darüber beraten, wie vor allem ärmere Länder vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels geschützt werden können.

Dass der Klimawandel nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf das Zusammenleben der Menschen hat, zeigt ein Beispiel aus Südafrika. Die ungewöhnliche Trockenheit bedroht neben anderen modernen Einflüssen die einst heile Welt eines Stammes im idyllischen Nordosten des Landes.

Von Harald Stutte

Der königliche Hof von Modjadji VI., Herrscherin über das Volk der Bolobedu, gehörte einst zu den am meisten respektierten Herrschaftshäusern im südlichen Afrika. Denn man sagte den Bolobedu-Könginnen nach, Macht über den Regen zu besitzen. Und Regen bedeutet in diesem trockenen Landstrich Leben. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Doch Modjadji VI. ­ „Frau, die der Sonne gehört“, so ihr korrekter Name ­ wirkt müde und fühlt sich krank – trotz ihrer 26 Jahre. Während sie Gästen aus dem fernen Europa gegenüber sitzt, blickt sie traurig ins Leere. In T-Shirt, Wickelrock und einem pink-farbenen Krempenhut auf dem Kopf sitzt sie auf dem Fußboden ihrer Audienz-Hütte, in der sie gewöhnlich Gäste empfängt. Die Fremden haben auf einem Sofa ihr gegenüber Platz genommen, blicken auf die Herrscherin herab. Sie direkt anzusprechen, ist nicht erlaubt. Auch lange Blickkontakte sind verpönt, gelten als unhöfliche Attacke auf die Seele der Königin. Um mit der Königin zu reden, müssen die Gäste eine Art „stille Post“ spielen: Der Gast richtet eine Frage an den örtlichen Tour-Guide, der sie ­ mit blumigen Worten ausgeschmückt ­ an einen alten Herren weiter reicht, der den Gästen als Pafaras vorgestellt worden war. Pafaras, ein betagter Onkel der Königin, ist einer der wenigen Menschen, die Modjadji direkt ansprechen dürfen. Dazu senkt er den Kopf tief, so dass er der Regentin fast zu Füßen liegt. Aus dieser Art Froschperspektive richtet er die Fragen direkt an die Königin, immer wieder unterbrochen von einem langen „eehhh“, in der Sprache der Bolobedu ein Ausdruck der Zustimmung, unserem „aha“ vergleichbar.

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„Regen zaubern kann nur Gott“

Ob sie tatsächlich Regen herbeizaubern kann, wollen die Gäste wissen. Die Antwort enttäuscht etwas: „Das kann nur Gott“, sagt Modjadji, „aber ich kann den Kontakt zu den Vorfahren herstellen“. Die Regenkönigin, eine Art transzendentales Medium? Vorfahren, ancestors, spielen ­ wie bei allen afrikanischen Völkern ­ auch bei den Bolobedu eine zentrale Rolle. Wer den Kontakt zu den „ancestors“ verliert, verliert seine Seele.

Einst waren es Männer, die bei den Bolobedu das Zepter schwangen, als diese sich aus dem heutigen Simbabwe kommend um das Jahr 1800 hier im Daja Forest niederließen. Doch der damals regierende König Mugodo hatte eine finstere Erscheinung: Geister prophezeiten ihm, seine Söhne hätten die Absicht, ihn zu beseitigen. Als ein mit Intrigen erfahrener Machtmensch reagierte er sofort, tötete alle Söhne, ließ nur seine Tochter Modjadji am Leben. Ihr erzählte er, die Geister hätten befohlen, sie solle an seiner Seite Königin werden. Der Zufall wollte es, dass genau zu diesem Zeitpunkt die Region unter einer anhaltenden und langen Trockenperiode stöhnte. Und wie durch ein Wunder begann es zu regnen, als Modjadji I. Königin wurde. Das sei das Werk der neuen Regentin, waren die Menschen überzeugt.

Die Geburt des Matriarchats

Ein Mythos wurde begründet, das goldene Zeitalter des Matriarchats brach an. Nicht einmal der legendäre Shaka Zulu ­ eine Art Napoleon Afrikas, der alle Völker im Süden unterwarf ­ wagte es, sich mit den Bolobedu-Königinnen anzulegen. Denn Frieden mit ihnen hieß stets auch Frieden mit den Launen der Natur. Für die Öffentlichkeit, auch für ihre Untertanen, blieb die Regenkönigin bis in unsere Tage hinein eine Herrscherin ohne Gesicht. Nur selten verließ sie ihren königlichen Kral. Dafür bat sie die „ancestors“ um himmlisches Nass, wenn wieder einmal die Ernte zu verdorren drohte. Man sagte ihnen nach, selbst über Hagel, Blitz und Donner Macht zu besitzen.“ Sie sitzt auf einem 500 Meter hohen Ausläufer der Drakensberge, wo es natürlich häufiger regnet, als im staubtrockenen Umland“, versucht Prof. Chris Boonzaaier (51), Anthropologe von der Universität Pretoria, das Phänomen wissenschaftlich zu erklären.

Mythos gegen Geld

Doch mit dem neuen Südafrika brach auch eine neue Zeit für die Bolobedu an: Schon die Vorgängerin der jetzigen Regenkönigin lüftete den Vorhang der Verschwiegenheit, denn die Monarchie hatte Geldsorgen. Ihr eigentliches Geschäft ­ das „Regenmachen“ ­ trat zunehmend in den Hintergrund. Dafür präsentierte sie sich der Öffentlichkeit, natürlich für Geld. Mythische Stätten ­ Khoro (der Platz der rituellen Tänze) und Ntlo (die königliche Hütte) ­ wurden von Kameraaugen entweiht.

Vielen Untertanen passte der Ausverkauf der mythischen Bolobedu-Geheimnisse nicht. Und plötzlich wurde auch an Modjadjis spiritueller Fähigkeit des Regenmachens gezweifelt, zumal das Land in diesem Jahr besonders unter anhaltender Trockenheit leidet.

Die Straße, die aus Modjadjis Reich hinaus führt, schlängelt sich durch eine wunderschöne Landschaft, geformt aus roter Erde. Ivory Route nennt sich die neue Trasse, mit der in diesem unterentwickelten Teil Südafrikas große touristische Hoffnungen verbunden werden. Eukalyptuswälder säumen die Straße, Akazienbüsche, gelegentlich ein gewaltiger Baobab (oder Affenbrot)-Baum. Ansonsten sieht das Land jetzt am Anfang der Regenzeit ziemlich trocken aus. Es gibt sehr viel Arbeit, für eine afrikanische Regenkönigin.

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