Rückkehr in Schande

Zehn- bis fünfzehntausend Schwarzafrikaner halten sich derzeit in Marokko auf – sie wollen von hier nach Europa übersetzen, wo sie auf Arbeit hoffen. Für knapp 2000 von ihnen ist der Traum zu Ende: Seit drei Wochen macht Marokko Jagd auf illegale Emigranten und schiebt sie unter menschenunwürdigen Umständen ab.

Von Rüdiger Maack, ARD-Hörfunkstudio Rabat

Zelte, umringt von Zäunen und Polizisten, die vor dem Eingangstor Wache schieben: Das ist Europa. Zumindest für Don Simone Fortrou. Er kommt aus Kamerun, ist gerade mal 19 Jahre jung und seit zwei Wochen auf der richtigen Seite: Er hat den Sprung über den Doppelzaun geschafft und wartet jetzt im Aufnahmelager Melilla. Es ist für 400 Menschen ausgelegt, knapp 1000 campieren hier wohl zurzeit. „Ich bin hier, weil ich so viel von Spanien gehört habe und ich mir das selbst ansehen will“, sagt Fortrou. „Es soll ein sehr schönes Land in Europa sein. Wer hierher kommt, wird ein besseres Leben in der Zukunft führen.“

Don Simone ist mit seinen 19 Jahren einer der jüngsten, die sich auf den Treck nach Europa aufgemacht haben. Die meisten sind zwischen Anfang 20 und Mitte 30. Sie kommen aus Bürgerkriegs- oder Nachkriegsländern wie Sierra Leone, Liberia oder der Elfenbeinküste. Oder aus chronisch armen Ländern wie Ghana, Nigeria, Mali oder Senegal. „Um nach Spanien zu kommen, muss ich erst mal durch dieses Camp, deswegen bin ich hier und schlafe im Zelt“, sagt Fortrou. „Ich weiß, dass sie mich eines Tages aufs Festland schicken und dann fange ich mein richtiges Leben an!“

Lebensgefährliche Reise – manchmal über Jahre

Es ist die Hoffnungslosigkeit, die Don Simone und die anderen dazu treibt, sich auf eine lebensgefährliche Reise zu machen. Manche sind zwei, drei oder sogar fünf Jahre unterwegs. Sie gehen weite Strecken zu Fuß und schaffen es doch nie, nach Europa zu kommen, wo die Arbeit auf sie wartet, mit der sie ihre Familie ernähren können.

Seit den 80er Jahren hat sich der Wohlstand auf der Welt vergrößert. Überall, nur nicht auf dem afrikanischen Kontinent. Afrikaner spielen auf dem Weltmarkt keine Rolle mehr, sie werden ihre Produkte kaum los, viele Regierungen sind mehr um ihre Schweizer Konten als um die Bevölkerung besorgt. Der innerafrikanische Handel ist minimal, die Infrastruktur verheerend, und in Westafrika herrscht ständig irgendwo Krieg. Die Bevölkerung wächst, während es gleichzeitig weniger zu verteilen gibt.

Schleuser wecken falsche Hoffnungen

Wer etwas werden will, geht auf Wanderschaft: Tschader nach Kamerun, Gabuner nach Mali, Burkinaben in die Elfenbeinküste. Und wer ganz wagemutig ist, geht nach Europa. Das sei gar nicht so kompliziert, bekommen die Menschen von Schleppern erzählt: Du gehst nach Gao in Mali oder nach Niger, von dort nach Tamanrasset in Südalgerien. Da verdienst du dir ein bisschen Geld und dann geht es nach Maghlia – zur Grenze nach Marokko. Von dort ist es ein Katzensprung ans Mittelmeer und wenn du hier in Melilla bist, dann kann gar nichts mehr schiefgehen.

Bei Rückkehr „weniger wert als eine Ameise“

Furtrou hat Kamerun mit 400.000 CFA-Francs (umgerechnet etwa 600 Euro) verlassen; als er in Algerien ankam, war das Geld aufgebraucht. „Dann habe ich nach Hause telefoniert, damit sie mir mehr Geld schicken. Sie haben mir nochmal 100.000 CFA geschickt, das hat mich bis Marokko gebracht.“ Um seine Reise zu finanzieren, hat die Familie einen Teil ihres Landes verkauft. Jetzt müssen sie mit noch weniger leben als vorher. Bis jetzt hat Don Simone Glück gehabt. In den Wäldern vor Melilla musste er „nur“ zwei Monate ausharren, dann hat er es über den Zaun geschafft. Scheitern ist nicht vorgesehen: „Meine Familie würde mich anschauen, als wäre ich weniger Wert als eine Ameise“, sagt Furtrou. „Sie haben ihr ganzes Geld für mich ausgegeben. Das wäre ein sehr trauriges und schmerzliches Wiedersehen.“

Mit leeren Händen zurück

Alphesenné Kampo hat weniger Glück gehabt als Don Simone. Der 34-Jährige gehört zu den über tausend Maliern und Senegalesen, die diese Woche von den Marokkanern in ihre Heimatländer abgeschoben wurden. „Ich bin vor drei Jahren weggegangen“, sagt er. „Als mir gesagt wurde: Wir bringen dich jetzt mit leeren Händen zurück, habe ich mich geschämt. Das ist eine Schande. Ich bin verheiratet und während meiner Abwesenheit ist viel passiert: Ich habe meine Mutter und meinen Vater verloren, und meine Geschwister haben immer noch nichts.“ Er hat Angst vor dem Wiedersehen. „Ich weiß nicht, wie ich das meiner Frau ins Gesicht sagen soll. Sie hat kein Geld und hatte Schwierigkeiten, die beiden Kinder durchzubringen.“

In der malinesischen Hauptstadt Bamako hatte er ein kleines Geschäft, doch die Umsätze waren so schlecht, daß er seine Familie damit kaum ernähren konnte. Jetzt will er erst einmal versuchen, sich in Bamako etwas Neues aufzubauen. Aber Europa hat er noch immer nicht ganz abgeschrieben.

Deportiert in die Wüste

Vor drei Wochen haben die marokkanischen Behörden begonnen, überall im Land wahllos Afrikaner zu verhaften. Wer in Marokko illegal ist, läuft schon seit Jahren Risiko, an die Grenze zu Algerien oder schlimmstenfalls in den Süden deportiert zu werden. Die Polizei nimmt den Menschen vorher ihr Geld ab, schlägt einige zusammen, steckt sie ins Gefängnis und beschlagnahmt ihre Handys, mit denen sie Kontakt zur Familie halten. Doch seit Ende September ziehen ganze Bus-Karawanen der Behörden durchs Land. Marokko wollte mehr als tausend Menschen in der Wüste aussetzen, die zuvor zum Teil tagelang nichts gegeessen und getrunken hatten.

„Das war wie im Krieg“, erzählt Marie-José. „Die Polizei hatte den gesamten Wald vor Melilla umstellt, es wurden Hubschrauber mit Scheinwerfern eingesetzt, alle Afrikaner wurden verhaftet, du konntest dich nicht mal verstecken. Wir hatten alle Angst.“ Seitdem campiert er in der Grenzstadt Oujda unter freiem Himmel. Kein Bad, keine Toilette, kein Zelt, keine Decken, kein Geld. In Oujda sollen die Emigranten dahin, wo sie nach Meinung der Marokkaner herkommen: nach Algerien. Auf der algerischen Seite in Maghlia wiederum, wo noch einige tausend Emigranten auf ihre Chance warten, schicken die Grenzer die Flüchtlinge nach Marokko zurück.

Mit einer Flasche Wasser in der Wüste ausgesetzt

In der Wüste südlich von Oujda läuft John mit zwei Freunden zurück in bewohntes Gebiet: „Sie haben uns mit Bussen da runter gebracht. Dann mussten wir alle auf die Ladeflächen von großen Lastern aufsteigen. Die haben uns in die Sahara gebracht und dort wurden wir dann runtergelassen. Jeder bekam ein Brot und eine Flasche Wasser“, erzählt John.

Jetzt sitzen diese Malier nahe der Kleinstadt Bouafar hinter Gittern, übernachten unter freiem Himmel und warten auf ihre Abschiebung. Zwei Tage, nachdem die Polizei sie ausgesetzt hatte, hat die Armee sie wieder eingesammelt und hierher gebracht. Der internationale Protest war wohl zu groß. „Wir gehen jetzt nach Hause zurück und werden Arbeit suchen und uns irgendwie durchschlagen“, sagt John. „Wir wollten ja gar nicht nach Marokko! Wir wissen auch, dass es hier keine Arbeit gibt. Wir wollten nach Europa, nach Spanien.“ Der Traum von Arbeit, einem würdigen Leben und von Europa ist vorerst ausgeträumt. Verbittert, geschlagen und gedemütigt ziehen sie wieder zurück in ihre Heimat.

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