Langsames Ende eines grausamen Brauchs?

Im Sudan steht die große Beschneidung von Frauen noch immer auf der Tagesordnung, obwohl sie bereits per Gesetz verboten ist. Nur langsam findet ein Umdenken statt. Unicef veröffentlichte heute eine Studie über die Beschneidung von Frauen.

Von Reinhard Baumgarten, ARD-Hörfunkstudio Kairo

Es steht eine Hochzeit in Al Fasher, der Provinzhauptstadt Norddarfurs, an. Die Braut kommt in Begleitung ihrer Fa­mi­lie. Für die junge Frau steht in der kom­menden Nacht viel auf dem Spiel: ihre Unbescholtenheit sowie die Ehre der ganzen Familie.

Im Sudan: Drei Arten der Beschneidung

Eine Braut muss bluten, heißt es in Darfur. Sie muss als Jungfrau in die Ehe gehen. Und die Braut wird auf jeden Fall bluten in der Hochzeitsnacht. Denn damit die Ehe vollzogen werden kann, muss die Braut geöffnet werden, da ihre Scheide als Fol­ge der Beschneidung vor der Geschlechtsreife auf Bleistiftgröße zugenäht worden ist. Laut der Hebamme Huda Ab­del-Nasser werden in Darfur drei Arten von Beschneidung praktiziert.

„Bei der pharaonischen Beschneidung entfernen wir alles, das heißt sowohl die großen und die kleinen Schamlippen als auch die Klitoris. Wir lassen nur eine kleine Öffnung, alles andere nä­­hen wir zu. Bei der ‚Sunna-Beschneidung‘ wird nur ein Teil der Klitoris wegge­nom­men. Die Frauen bleiben offen, also unvernäht. Sie können ihre Kinder auf na­türliche Weise und ohne Einschnitte bekommen – genauso wie unbeschnittene Frau­en. Die Frauen mit pharaonischer Beschneidung hingegen brauchen selbst bei der zehnten Geburt noch Hilfe.“, erklärt die Hebamme. „Diese Praxis der Beschneidung besteht seit Jahrtausenden und wird getragen von der Frauengesellschaft“, unterstreicht Margret Giese, die seit vielen Jahren als Expertin für die amerikanische Hilfsorganisation Planned Parenthood Federation im Sudan arbeitet. Die Männer wüssten zumeist nichts über den Körper einer Frau. Deshalb nähmen sie deren Verstümmelung als ge­geben an.

Beschneidung ist nicht religiös bedingt

In 28 Ländern Afrikas werden Frauen beschnitten. Im Sudan sind mehr als 80 Prozent der Frauen betroffen, im rein muslimischen Darfur sind es annähernd 100 Pro­zent. „Es ist in keinem Falle in irgendeiner Weise religiös bedingt und es ist schon gar nicht im Islam verankert“, sagt Giese. „Deshalb ist es so unverständlich, dass Beschneidungen weiterhin durchgeführt werden. In der Gesellschaft besteht das Missverständnis, dass die Be­schneidung religiös bedingt ist. Religiöse Führer verneinen diese Annahme jedoch. Sonst müssten auch alle Frauen in Saudi-Arabien beschnitten werden, und dort gibt es keine Beschneidung.“

Die Folgen dieser massiven Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsteile sind schlimm, sagt Margret Giese: „Das Frauen oder Mädchen nach der Beschneidung sterben können, war schon immer so. Das ist zwar schlimm, wird aber akzeptiert, weil die Beschneidung der Mädchen so tief verwurzelt ist. Wir haben auch heute noch das Phänomen, dass nach den drei­mo­natigen Sommerferien Mädchen einfach nicht mehr wiederkommen, denn in dieser Zeit wird beschnitten.“

Aufklärungsarbeit wird geleistet

Oft legen die Hebammen mit Mes­ser oder Sche­re Hand an. Per Gesetz ist die große Beschneidung im Sudan schon lange verbo­ten. Doch niemand vermag in den unzugänglichen Regionen die geltenden Rech­te gegen überkommene Traditionen durchzusetzen. „Langsam“, sagt Abdel-Nas­ser, „findet indessen ein Umdenken statt“. Die Menschen werden sich der schwerwie­gen­­den Nach­teile bewusst.

Die Hebamme erzählt: „Wir haben die Menschen in ihren Wohnvierteln zusammengerufen und ihnen auf Bild­schirmen die pharaonische Beschneidung und die Sunna-Beschneidung ge­zeigt. Und wir haben über die Schäden gesprochen. Stück für Stück haben die Men­schen die Nachteile der Beschneidung verstanden. Die Mehrheit etwa hat es begriffen und beschneidet ihre Töchter nicht länger. Und die, die es vielleicht nicht ganz be­griffen haben, wenden zumindest nicht mehr die pharaonische Be­schneidung an, son­dern die leichtere Sunna-Beschneidung.“

Zwei ihrer Töchter hat die Sudanesin Rauda beschneiden lassen. Die kleinste Tochter ist mit ihren fünf Jahren noch zu jung. Rauda ist unentschlossen, ob sie das Mädchen auch beschneiden lassen soll. Unbeschnittene Frauen fin­den oft keinen Mann. Andererseits weiß Rauda, wie schädlich die Beschneidung ist. Ihre Mutter kann deswegen den Harn nicht halten, sie riecht schlecht, wird von den Nachbarn ge­mieden und ist ständig auf Hilfe angewiesen.

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