Der Hippie-Wahlkampf des Ex-Guerilleros

Vieles scheint bei der heutigen Präsidentenwahl in Nicaragua klar zu sein – allerdings nur auf den ersten Blick. So liegt der Sandinist Daniel Ortega in Umfragen zwar deutlich vorn, allerdings könnte auch der bisherige Zweite – der USA-freundliche Unternehmer Montealegre – am Ende lachender Sieger sein. Auf Ortega hoffen die Linksregierungen Lateinamerikas. Allerdings hat der sich drastisch gewandelt: Aus dem Marxisten ist ein spiritueller Wanderprediger geworden, der nicht mehr das Kapital zitiert, sondern die Kapitalismuskritik von Papst Johannes Paul II.

Von Michael Castritius, ARD-Korrespondent Mittelamerika

Ein seltsames Alt-Hippie-Pärchen paradiert durch das Armenviertel Batahola im Westen der Hauptstadt Managua. Ex-Revolutionär Daniel Ortega, ganz in weiß mit einem Blumenkinder-Lächeln, grüßt erhaben von seinem ebenfalls weißen Mercedes-Gelände-Wagen, untermalt von einer „Give Peace a chance“-Version. Neben ihm seine Frau Rosario – nach Jahrzehnten wilder Ehe haben sie sich im Sommer vom erzkonservativen Kardinal Miguel Obando trauen lassen. Jenem Obando, der zuvor jahrzehntelang ihr Erzfeind war. „Reconciliación“ – Versöhnung, heißt es im Refrain des psychedelischen Wahlkampfsongs.

Auch mit den ehemaligen Contras, die mit Unterstützung der USA in den achtziger Jahren das sandinistische Nicaragua terrorisierten, hat sich Ortega versöhnt. Ein Contra-Führer ist sein Kandidat für die Vize-Präsidentschaft. Und mit dem rechten, zu 20 Jahren Haft verurteilten Ex-Präsidenten Arnoldo Aléman hat er gar einen Pakt geschlossen. Sie teilten das Land unter sich auf: den Obersten Gerichtshof, den Nationalen Wahlrat und den obersten Rechnungshof. Aber darüber spricht Ortega nicht, gibt keine Interviews, verweigert sich Fernsehdebatten, schwebt über allem – und redet auch so. „Christus sagte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wir blicken uns in die Augen, sprechen mit dem Herzen“, tönt es in einer Art Wahlkampfpredigt. „In Nicaragua wird es eine spirituelle Revolution geben. Eine Revolution der Liebe, die das beenden wird, was der Papst ‚wilden Kapitalismus’ nannte.“

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„Chamäleon Ortega“

Halleluja, sagen dazu kopfschüttelnd viele alte Weggefährten des Commandante Ortega. Nicaraguas berühmtester Liedermacher Carlos Mejia Godoy etwa, der einst die Hymne der Sandinisten komponierte und sich heute für die sandinistische Abspaltung MRS um das Amt des Vizepräsidenten bewirbt. „Es ist wirklich traurig, Daniel Ortega so zu sehen“, meint Godoy. „Wie er sich quasi in einen Propheten verwandelt hat. Er zitiert die Bibel wie ein Priester.“ Das Chamäleon-Syndrom, nennt Godoy das. „Das Chamäleon Ortega wechselt seine Farbe – und seine Seele.“

Die alten Lieder singt Daniel Ortega schon lange nicht mehr. Schwarz-Rot sind die Farben des Sandinismus, pink ist die Farbe seines Hippie-Wahlkampfes. Rund dreißig Prozent werden wohl die Sandinisten wählen – nicht wegen, sondern trotz Ortega. 35 Prozent bräuchte er aber, um in der ersten Runde zu triumphieren. In einer Stichwahl hätte er kaum noch Chancen, weil alle anderen Parteien gegen ihn sind.

Die große Stunde Montealegres?

Das wäre dann die große Stunde des in den Umfragen auf Platz zwei liegenden Bewerbers. Der millionenschwere Bankier Eduardo Montealegre wird massiv von den USA unterstützt. Er will die unternehmensfreundliche Politik fortsetzen, die dem Land das Wirtschaftswachstum gebracht hat. „Wir werden den Weg der Chancen für alle gehen“, verspricht Montealegre. „Den Weg von mehr und besserer Arbeit, den Weg von weniger Armut und der Hoffnung auf ein besseres Leben.“

Hoffnung – mehr haben die Armen des Landes auch bisher nicht gehabt vom Aufschwung. Während dem Besucher Managuas luxuriöse Einkaufszentren, Spielkasinos, dicke Autos und gute Straßen auffallen, grassieren im Hinterland Hunger und Armut. Drei Viertel der Nicaraguaner müssen von weniger als 1,60 Euro am Tag leben – egal, ob ein pinkfarbener Ex-Guerillero oder ein smarter Neoliberaler in den Präsidentenpalast einzieht.

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