Die Angst als ständiger Zugbegleiter

In Deutschland wird noch darüber gestritten, ob und wie die Bahn an die Börse gehen könnte. Die Briten sind da schon einige Schritte weiter. Sie haben ihre Bahn bereits in den 90er Jahren privatisiert – und damit ein Musterbeispiel dafür geliefert, wie man es nicht machen sollte.

Von Holger Senzel, NDR-Hörfunkkorrespondent London

Ein deutscher ICE würde britische Bahnkunden vermutlich zu Tränen rühren: So, sauber, so komfortabel, so pünktlich. Briten begreifen Fahrpläne zwangsläufig eher als unverbindliche Empfehlung. Die Sauberkeit der Züge lässt zu wünschen übrig, das Schienennetz ist veraltet und sich im Tarifdschungel und auf den Bahnhöfen von 25 Eisenbahngesellschaften zurechtzufinden ist für Unerfahrene eine echte Herausforderung.

Strukturen, die die Staatskasse füllen sollen

1992 hatte Königin Elizabeth II die radikalen Privatisierungspläne der konservativen Regierung für British Rail verkündet. Sie gilt als Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Eisenbahnen und Schienennetz wurden getrennt privatisiert. „Die Bahn wurde mit der Privatisierung zerschlagen“, sagt Jerett Colbet, der frühere Chef der ehemaligen Gleisbetreibergesellschaft Railtrack. Man habe diese Strukturen geschaffen, „um die Staatskasse zu füllen, nicht um die Sicherheit zu verbessern“, meint er.

1999 starben beim Zusammenstoß zweier Pendlerzüge im Londoner Bahnhof Paddington 31 Menschen. Ein Jahr später kam es zur Zugkatastrophe von Hatfield. In beiden Fällen waren alte Gleise gebrochen, stellte die staatliche Aufsichtsbehörde fest. 22 größere Unfälle gab es insgesamt auf Grund schlampiger Wartung. Ende der 90er Jahre war die Angst ständiger Begleiter im Pendlerzug. Die Politik zog Konsequenzen: Der Betrieb des Schienennetzes wurde in die Obhut eines hundertprozentigen Staatsbetriebes zurückgeführt.

Verspätungen werden gelassen hingenommen

Die Privatisierung der Eisenbahnen selbst machte Labour-Premier Tony Blair nicht rückgängig – obwohl er es im Wahlkampf versprochen hatte. Er warf damals dem konservativen Premier John Major wegen der Bahn-Privatisierung Chaos und Inkompetenz vor. Inzwischen sind die Eisenbahnen im Königreich zwar wieder sicherer geworden – aber nicht unbedingt pünktlicher. Doch während in Deutschland schon 15-minütige Verspätungen Beinah-Rebellionen auf dem Bahnsteig auslösen – nehmen die Briten das gelassen. „Besser eine halbe Stunde zu spät und dafür lebend ankommen“ sagt ein Passagier.

Subventionen höher als vor der Privatisierung

Auch vor der Privatisierung waren britische Züge nicht gerade Musterbeispiel für Pünktlichkeit und Sauberkeit. Die Ursachen dafür – glaubt Richard Branson von Virgin Train – sind schon in der Nachkriegszeit zu suchen. Damas sei zu wenig Geld in die Eisenbahn und zu viel in das Straßennetz investiert worden. Das wichtigste Ziel aber hat die Privatisierung auf jeden Fall verfehlt: nämlich die Verringerung staatlicher Subventionen. Der britische Steuerzahler muss für die private Bahn heute weit mehr berappen als zu Zeiten von British Rail.

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