„Ricke hat nichts falsch gemacht“

Der Markt reagiert positiv auf die Ablösung von Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke. Dabei hat er erst im Herbst eine neue Tarif-Struktur eingeführt, um die Abwanderung der Kunden aus dem Festnetz-Geschäft zu stoppen. Was also ist der Grund für die Ablösung zum jetzigen Zeitpunkt? tagesschau.de sprach darüber mit dem Analysten Per-Ola Hellgren.

tagesschau.de: Kai-Uwe Ricke hat die Schulden der Telekom abgebaut, den Aktionären eine hübsche Dividende ausgezahlt – und muss dennoch gehen. Woran ist er nach Ihrer Einschätzung gescheitert?

Per-Ola Hellgren: Meiner Meinung nach hat Ricke nichts falsch gemacht. Die Telekom hat sich entschieden, sich ein neues Gesicht zu geben, und deswegen musste Ricke Platz für Obermann machen.

tagesschau.de: Wie soll dieses neue Gesicht aussehen?

Hellgren: Man will nach außen dynamischer dastehen, man will den bisherigen Status Quo etwas auflockern und bei den Problemfeldern eine neue Initiative ergreifen.

tagesschau.de: Ricke wird vorgeworfen, die Telekom habe zu viele Kunden im Festnetz verloren. War das das ausschlaggebende Problem?

Hellgren: Hierfür trägt der Vorstand natürlich die Verantwortung, selbst wenn er nicht viel hätte anders machen können. Wenn ein solches Problem zwei Quartale hintereinander auftritt, muss der Vorstand die Konsequenzen ziehen.

tagesschau.de: Dabei hat der Konzern in diesem Jahr seine Tarife gesenkt – warum hat das nicht gereicht?

Hellgren: Ich glaube, Ricke hat die richtigen Schritte getan, aber zu spät – sein Nachfolger wird davon profitieren.

tagesschau.de: Wo muss René Obermann als erstes ansetzen?

Hellgren: Ich sehe keine Maßnahmen, die bisher nicht gemacht wurden und jetzt gemacht werden müssten. Insofern glaube ich, dass es sich zunächst um viel Kosmetik handeln wird. Obermann wird natürlich Akzente setzen müssen, und möglicherweise ergibt sich daraus eine neue Strategie, aber vorerst bleibt die Strategie des Konzerns intakt.

tagesschau.de: Wo könnte er diese neuen Akzente setzen – bei den Tarifen oder beim Personalbestand?

Hellgren: Beim Personal sind Obermann die Hände weitgehend gebunden, da Ricke gemacht hat, was gemacht werden konnte. Obermann kann diese Maßnahmen fortsetzen, aber nicht forcieren. Bei den Tarifen wird Obermann abwarten, wie die neuen Flat-Rate-Tarife im Festnetz angenommen werden. Möglicherweise wird er die Strategie ändern müssen, um die Kundenabwanderung zu verringern. Das ist das dringendste Problem, weil es ein öffentliches, transparentes Problem ist.

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tagesschau.de: Wie gravierend sind die Versäumnisse bei der Internet-Telefonie?

Hellgren: Da kann man Ricke keine Vorwürfe machen. Die Internet-Telefonie steht noch am Anfang und ist für die Telekom ein zweischneidiges Schwert. Einerseits muss man die Breitbandentwicklung mit einem Voice-over-IP-Angebot beschleunigen. Andererseits muss man auch das herkömmliche Festnetz-Geschäft vor zu starken Einbrüchen bewahren.

tagesschau.de: Aber viele Kunden wandern nun mal in diesen Bereich ab. Möglicherweise wird man irgendwann mit dem Festnetz keinen großen Gewinn mehr machen.

Hellgren: Auf die Dauer wird das so sein. Aber das wird einige Jahre dauern, und in diesem Zeitraum muss die Telekom ja die Entwicklung nicht unnötig vorantreiben, weil sie ihr ja schadet.

tagesschau.de: Hat ein Teil der Telekom-Probleme auch damit zu tun, dass es sich um eine ehemaliges Staatsunternehmen handelt, das immer noch gewisse Schwierigkeiten mit dem Wettbewerb hat?

Hellgren: Das ist Teil des Problems. Die Deregulierung des damaligen Staatsunternehmens wurde ja nicht durchgeführt, damit die Telekom weiter ein Monopolist bleiben konnte, sondern damit auch Wettbewerber Marktanteile gewinnen können. Überall in der Welt hat man diesen Weg beschritten, und überall haben die ehemaligen Monopolisten das gleiche Problem. Das Wachstum in der Branche reicht nicht aus, um alle gleich reich zu machen. Statt dessen handelt es sich um eine Umverteilung zu Ungunsten des ehemaligen Monopolisten. Das ist genau das Problem der Telekom. Das wird sich auch nicht kurzfristig ändern.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de

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