„Aschiana“: Eine Zuflucht für die Schwächsten der Schwachen

60.000 Straßenkinder gibt es in Afghanistan, die meisten von ihnen sind Kriegswaisen. In Kabul kümmert sich die Organisation „Aschiana“ um einige von Ihnen. Den Kindern soll so eine Zukunft jenseits der Straße ermöglicht werden.

Von Torsten Teichmann, ARD-Hörfunkstudio Südasien, zurzeit Kabul

Ein Klassenzimmer im Kabuler Stadtteil Shah-Re-Naw: 17 Kinder hocken am Boden auf einem alten grünen Teppich und singen. Zwei Jungs spielen Harmonium, andere trommeln. Die Kinder tragen alte T-Shirts und Hosen, bei einem der jüngsten schauen beide Fersen aus den zerrissenen Socken.

Sie sind Straßenkinder, so wie der 12-jährige Milat: „Ich mag Musik, sie macht mich glücklich. Vielleicht ist es manchmal schwierig glücklich zu sein. Aber wenn man etwas gut macht, ist man zufrieden“, sagt er überzeugt, „wer schlecht ist, dagegen nicht.“ Fast jeden Nachmittag verbringt der Junge hier – bei „Aschiana“. Die Organisation, deren Name Nest oder Zuhause bedeutet, kümmert sich um die Schwächsten der Gesellschaft, um einige der mehr als 60.000 Straßenkinder in Afghanistan. Das Projekt wird von der Europäischen Union finanziert.

Vormittags zur Arbeit – nachmittags zu „Aschiana“

In Afghanistan erscheint es unmöglich, Kinderarbeit zu verbieten. Auch Milat muss jobben, damit die achtköpfige Familie genügend Brot hat, da sein Vater zu alt ist. Milat arbeitet vormittags am Taxistand. Er ruft den Fahrgästen zu, wohin die Sammeltaxis fahren. So verdient er Geld.

Straßenkinder gibt es in Afghanistan schon sehr lange. Einige sind Waisen, die Eltern und Verwandte bei Kämpfen oder Massakern verloren haben. Anfang der 90er Jahre waren viele von ihnen in Religionsschulen in Pakistan oder Afghanistan aufgewachsen, sogenannten Madrasas. Später haben die Taliban dort ihre Kämpfer rekrutiert. Ashiana wirkt wie ein Gegenmodell dazu.

Nazir Mohammed, der für das Programm bei Aschiana verantwortlich ist, will das so allerdings nicht stehen lassen: „Der religiöse Unterricht ist auch wichtig. Wie alle nehmen wir daran teil. Das ist wichtig, daran glauben wir. Aber: Damit allein können wir unser Ziel nicht erreichen. Die Kinder brauchen auch praktische Fähigkeiten.“

Sparen für später, lernen fürs Leben

Mohammed erklärt, dass die Hilfsorganisation deshalb nicht nur den Schulbesuch der Kinder unterstützt, sondern sie auch fördert, selbstständig zu werden. Dazu gehört laut Mohammed auch der Umgang mit Geld: „Wer auf der Straße arbeitet, verdient 30 oder 50 Afghani pro Tag. Einen Teil davon zahlt das Kind auf sein Bankkonto ein. Wer 30 verdient, zahlt 10 ein und hat 20 Afghani zum Ausgeben.“

Auf dem Gelände von „Aschiana“ gibt es einen Sportplatz, der mit Draht umzäunt ist. In anderen Klassenzimmern lernen Kinder lesen oder zeichnen. Osman Iran ist für den Musikunterricht verantwortlich. Er sitzt bei den Kindern auf dem Boden. Die Beine in der grauen Anzughose verschränkt, lehnt er sich immer wieder vor und hört genau zu, während Milat jetzt allein singt.

Osman Iran erklärt: „Es zum einen Entspannung, zum anderen können die Kinder mit Talent die Instrumente lernen und später Musiker werden. Ich unterrichte seit vier oder fünf Jahren. Diese Kinder müssen auf der Straße arbeiten. Aber sie können später ihr eigenes Geschäft aufmachen und Geld verdienen mit ihrem Talent.“

Genau das hat Milat vor. Wer ihn fragt, was er sich für seine Zukunft wünsche, bekommt als Antwort eine ganz klare Vorstellung: „Ich bin auf der Straße seit ich sieben Jahre alt bin. Ich will einmal ein Sänger für Feste und Veranstaltungen sein.“

Original, Google Cache, archive.org

Dieser Beitrag wurde unter tagesschau.de abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.