Freizügiger TV-Sultan erhitzt türkische Gemüter

Die Einschaltquoten steigen von Folge zu Folge. Die Fernsehserie „Das prächtige Jahrhundert“ über einen Sultan aus dem Osmanischen Reich ist in türkischen Wohnzimmern ein Erfolg. Auf den Straßen aber fordern aufgebrachte Türken die Absetzung. Ihnen ist die Serie zu freizügig.

Von Steffen Wurzel, ARD-Hörfunkstudio Istanbul


Halit Ergenç spielt Sultan Süleyman in der türkischen Fernsehserie „Das prächtige Jahrhundert“. (Screenshot)

Eine Demo an einer viel befahrenen Straße in Istanbul. 40 hauptsächlich junge Männer skandieren Sprüche wie: „Hände, die das Osmanische Reich beschmutzen wollen, sollen zerbrechen!“ Ihr Protest richtet sich gegen „Muhteşem Yüzyıl“ – auf Deutsch: „Das prächtige Jahrhundert“. Der Titel der umstrittenen türkischen Fernsehserie spielt an auf den Namen des Protagonisten, Sultan Süleyman den Ersten, genannt „Süleyman der Prächtige“. Er regierte das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert, fast 50 Jahre lang.

In jedem Türkei-Reiseführer wird Süleyman der Prächtige als der berühmteste und einflussreichste der Osmanen-Herrscher beschrieben. In der Serie klingt das so: „Wir sind nicht mehr nur eine Regionalmacht auf dem Balkan. Wir werden den europäischen Kontinent erobern! Belgrad, Budapest, Wien, Rom … Wir werden unser Schwert in das Herz Europas, in das Herz der Ungläubigen stoßen!“

Alkohol und freizügig gekleidete Haremsdamen

Doch in „Das prächtige Jahrhundert“ geht es nicht nur um die geplanten Eroberungszüge Süleymans, sondern auch um dessen Privatleben – genauer gesagt um dessen mutmaßliches Privatleben. Und damit haben manche in der Türkei ein Problem.

Freizügig gekleidete junge Haremsdamen, die kichernd den berühmten Osmanen-Herrscher umgeben, obwohl er sich laut offizieller Geschichtsschreibung doch ausschließlich um das Wohl des Volkes kümmerte. Getränke, die verdächtig nach Wein aussehen, obwohl der Sultan strenggläubiger und abstinenter Muslim war! Von konservativer Seite hagelt es Kritik an der neuen türkischen Fernsehserie.


Szene aus der türkischen Fernsehserie „Das prächtige Jahrhundert“


Meryem Sarah Uzerli spielt Hürrem, die Lieblingsgemahlin von Sultans Süleyman.

Islamischer Sektenchef prangert Fernsehserie an

„Das, was man Süleyman hier andichtet: Dass er getrunken hat, sich Bauchtänze angeschaut hat und dass er es mit mehreren Frauen getrieben hat, das ist Anschwärzung“, beschwert sich der in der Türkei berühmt-berüchtigte Ahmet Hodscha. Dieser Monarch habe 46 Jahre lang das Reich regiert, er habe im Namen des Islam heilige Feldzüge geführt, Länder erobert und Reformen angepackt, stellt Hodscha fest. Er hätte gar nicht die Zeit und Gedanken für solche Lüstereien gehabt.

Ahmet Hodscha ist ein selbsternannter Geistlicher und Chef einer islamischen Sekte. Er wird regelmäßig in Talkshows eingeladen, wenn es darum geht, moralische Probleme anzuprangern. Denn egal, was man Hodscha auch fragt, man bekommt garantiert eine plakative Antwort.

Kulturministerium plädiert für Meinungsfreiheit

Im Gegensatz dazu der türkische Kulturminister Ertuğrul Günay. Als man ihn Anfang der Woche auf die neue Fernsehserie ansprach, äußerte er sich auffällig entspannt. Obwohl Kritiker seiner Partei, der konservativ-religiösen AKP, regelmäßig Verklemmtheit und Engstirnigkeit vorwerfen.

„Wir sollten Geduld haben. Man darf doch nicht gleich ab der Vorschau oder der ersten Folge eine ganze Fernsehserie verurteilen“, beschwichtigt Günay. In der Türkei herrsche Demokratie und Meinungsfreiheit. Man müsse sich daran gewöhnen, dass beispielsweise über Sultan Süleyman oder Staatsgründer Atatürk Filme gedreht werden, die einem nicht immer gefallen. „So funktioniert Demokratie!“

Figuren unverkrampft und menschlich darstellen


Logo der türkischen Fernsehserie „Das prächtige Jahrhundert“. (Screenshot)

Auch der Soziologe Abdurrahman Arslan kann die Aufregung um „Das prächtige Jahrhundert“ nicht so recht verstehen. Er plädiert dafür, auch historische Figuren wie Süleyman den Prächtigen unverkrampft zu betrachten und menschlich darzustellen. „Die Geschichte besteht nun mal nicht nur aus makellosen, fehlerfreien Personen, erklärt Arslan. Wenn historische Figuren idealisiert würden, bekämen sie früher oder später einen unantastbaren, ja fast heiligen Status.

Die Macher der umstrittenen Fernsehserie und die Verantwortlichen in der Zentrale des privaten Senders „Show TV“ können sich über die lebhafte Diskussion freuen. Die Einschaltquoten sind bisher von Folge zu Folge gestiegen.

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