Regierung rechnet mit weiteren EHEC-Fällen

Die Bundesregierung rechnet damit, dass sich der gefährliche EHEC-Durchfallerrreger weiter ausbreitet. Nach einem Spitzentreffen von Bund, Ländern und Behörden in Berlin sagte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP): „Ergebnis ist, dass leider weiter mit einer steigenden Fallzahl zu rechnen ist.“ Es gebe Anzeichen, dass die Infektionsquelle weiter aktiv sei. Die Bürger sollten vorsichtig sein. „Es wird weiter mit Hochdruck an der Identifizierung der Quelle gearbeitet.“

„Es geht weiter“

Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Reinhard Burger, fand deutliche Worte: „Es sind auch keine weiteren Todesfälle auszuschließen, sondern eher wahrscheinlich.“ Ein Abschwächen der Welle erwarte er nicht. „Es geht weiter.“

Eine zweite Studie habe erneut gezeigt, dass der Verzehr von rohem Gemüse in Norddeutschland ein erhöhtes Risiko berge, sagte der RKI-Chef. Entsprechende Warnungen blieben aufrechterhalten. „In dieser Woche wird sich zeigen, ob die Verzehrwarnung hilfreich war oder nicht.“ Grund sei die lange Zeit zwischen Infektion und Krankheitsausbruch. Der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), Andreas Hensel, sprach von dem größten bislang bekannten EHEC-Ausbruch in Deutschland. Und: „Wir können bis zum heutigen Tage nicht sicher eine Infektionsquelle benennen.“

Verbraucherministerin Ilse Aigner rechtfertigte die frühzeitigen Verzehrhinweise. „Wir haben es mit einer sehr ernsten Lage zu tun“. Zum Schutz der Verbraucher seien die Warnungen daher richtig gewesen. Ihrer Einschätzung nach hat EHEC längst eine europäische Dimension.

Dossier

EHEC und die Folgen
Experten stellt sie vor Rätsel, und Laien beunruhigt sie: Die Welle von EHEC-Infektionen mit dem seltenen Bakterien-Typ „O104“. Wie kann man sich vor einer Ansteckung schützen? Welche Bedeutung hat die Identifizierung des Erregers? tagesschau.de hat Hintergrundinformationen dazu zusammengestellt.

In Deutschland sind bislang 14 Menschen an den Folgen der Infektion mit dem Darmbakterium EHEC gestorben. Allein heute wurden vier Todesfälle infolge einer EHEC-Infektion vermeldet: einer in Schleswig-Holstein, zwei in Nordrhein-Westfalen und einer in Mecklenburg-Vorpommern. Bundesweit sind mehr als 1400 Menschen erkrankt.

Blutspenden dringend nötig

Angesichts der erwarteten weiter steigenden Fallzahlen rufen Kliniken und Rotes Kreuz (DRK) zu Blutspenden auf. Die bundesweit zusammenarbeitenden Blutspendedienste des DRK könnten derzeit noch aus ihren vorhandenen Beständen in den Kühllagern die Versorgung sicherstellen, hieß es. Jedoch müssten angesichts der anstehenden Pfingst- und Sommerferien die Lagerbestände wieder aufgefüllt werden, um Versorgungsengpässe zu verhindern. Auch das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein an den Standorten Kiel und Lübeck schlug Alarm: Die Plasma-Lager seien mittlerweile leer. Um den hohen Bedarf zu decken, würden Plasmen aus ganz Deutschland zugekauft. „Wir rufen aktive Spender auf, unsere Patienten mit ihrer Blutspende in dieser Krisensituation zu unterstützen“, sagte Dagmar Steppat, ärztliche Leiterin des UKSH-Blutspendezentrums in Kiel. Vergangene Woche hatte schon das Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) wegen der vielen schweren EHEC-Fälle zum Blutspenden aufgerufen.

Erfolgsmeldung bei neuer Therapie

Im Kampf gegen EHEC meldeten Ärzte in Hannover zudem einen Erfolg: Eine neuartige Therapie mit einem Antikörper scheine nach ersten Einschätzungen erfolgreich zu sein, erklärte die Medizinische Hochschule Hannover. Seit Mittwoch wurden dort mehr als ein Dutzend Patienten mit dem neuen Medikament behandelt, das gegen akutes Nierenversagen wirken soll. Auch am Hamburger UKE werden Patienten mit dem Antikörper behandelt. Verlässliche Aussagen über einen Erfolg, seien aber erst in einigen Wochen möglich. Das Mittel ist ein Antikörper mit der Bezeichnung Eculizumab. Mehr dazu bei ndr.de

Sendungsbild
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  • Hermann Haller zum neuen Wirkstoff gegen EHEC
  • Länge: 0:02:09
  • Datum: 2011-05-30T17:18:00.000+02:00

Eculizumab

Der Antikörper Eculizumab ist seit 2007 zugelassen. Er greift in die zerstörerischen Immunreaktionen ein, die sich nach einer EHEC-Infektion abspielen. Eculizumab bindet sich an ein Protein, das unter anderem zur Zerstörung von Blutzellen führt. Ein internationales Medizinerteam veöffentlichte in der vergangenen Woche einen ermutigenden Bericht: Man habe drei Kleinkinder erfolgreich mit Eculizumab behandelt, die sich 2009 mit dem EHEC-Erreger angesteckt und mit dem HUS gekämpft hätten. Die behandelten Kleinkinder hätten unter Nierenversagen und schweren neurologischen Störungen gelitten. Innerhalb von 24 Stunden nach der ersten Infusion habe sich der Zustand erheblich verbessert. Sie hätten sich erholt und auch sechs Monate nach der Erkrankung keine Folgeschäden gezeigt. Das Medikament wird derzeit in Deutschland auch bei Erwachsenen eingesetzt, unter anderem am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und der Medizinischen Hochschule Hannover.

Keime auf Gurken im Nordosten entdeckt

Die Quelle des Erregers ist jedoch weiter unbekannt. Nachdem an vier Salatgurken aus dem Hamburger Großmarkt das Bakterium nachgewiesen worden war, entdeckten Wissenschaftler nun auch in drei Proben von Gurken unterschiedlicher Herkunft in Mecklenburg-Vorpommern Hinweise auf den gefährlichen Darmkeim.

„Wir sind auf diese Gurken im Zusammenhang mit der Auswertung der Fragebögen von erkrankten Patienten gestoßen“, sagte Verbraucherminister Till Backhaus. Insofern könne ein Zusammenhang mit der Erkrankung bestehen. Die Gurken seien im Einzelhandel und in Gaststätten sichergestellt worden.

Ob sie wirklich mit dem EHEC-Erreger belastet waren, kann laut Verbraucherschutzministerium erst durch weitere Untersuchungen festgestellt werden. Die Ergebnisse werden nicht vor Mitte nächster Woche erwartet.

Was bedeutet EHEC, HUS und O104?

EHEC-Keime sind eine besonders gefährliche Form des Darmbakteriums Escherichia coli. Natürliches Reservoir der Bakterien ist der Darm von Wiederkäuern, speziell von Rindern. Beim derzeit grassierenden EHEC-Erreger handelt es sich nach Laboruntersuchungen vermutlich um den E. coli Typ O104. Die Keime werden durch Kontakt mit Tierkot, über kontaminierte Lebensmittel oder auch von Mensch zu Mensch übertragen. Eine EHEC-Infektion führt zu Durchfällen, die auch blutig sein können. Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und zunehmende Bauchschmerzen. Bei besonders schweren Verläufen der Infektion kommt es zu einem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), das zu einer schweren Nierenschädigung und sogar zum Tode führen kann. Das Robert Koch-Institut hat seit Einführung der Meldepflicht 1998 in Deutschland jährlich rund 1000 EHEC-Erkrankungen und 60 HUS-Fälle registriert.

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