Autofahrer automatisch unter Kontrolle?

Ist es eine normale Ermittlungsmethode der Polizei oder eine dauerhafte Rasterfahndung, die Schluss mit dem anonymen Benutzen von Straßen und Autobahnen macht? Das Bundesverfassungsgericht befasst sich damit, ob die automatische Erfassung von Auto-Kennzeichen durch die Polizei rechtmäßig ist. Drei Autofahrer aus Schleswig-Holstein und Hessen haben Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ein Urteil wird im kommenden Jahr erwartet.

Von Fiete Stegers, tagesschau.de

Für US-Agenten in Fernsehserien wie „24“ gehört es längst zum Standard, um einen Terror-Verdächtigen durch die Stadt zu verfolgen: Mit ein paar Mausklicks greifen sie live auf die Bilder von Verkehrskameras zu. Bilderkennungssoftware identifiziert das Kennzeichen am Wagen des Verdächtigen und hilft den Ermittlern an den Monitoren, an ihm dranzubleiben. Zukunftsmusik, weit weg vom Ermittlungsalltag?

In Großbritannien bereits Routine

Tatsächlich wird in Großbritannien eine ähnliche Technik bereits angewendet: Nach den Anschlagsversuchen in Glasgow und London wurden verdächtige Fahrzeuge mittels automatischer Nummernschild-Erkennung aufgespürt, verfolgt und mindestens zwei Verdächtige festgenommen. Bei dem Erkennungssystem erfassen mobile oder stationäre Polizeikameras sämtliche vorbeifahrenden Autos, fotografieren das Kennzeichen und gleichen es mit Polizeidaten ab. Schlägt die Software Alarm, überprüfen die Polizisten, ob tatsächlich ein Treffer vorliegt und nicht etwa ein Kennzeichen falsch erkannt wurde. Dann können sie das Fahrzeug wie bei einer Radarkontrolle von Kollegen stoppen lassen.

2003 wurden in einem Pilotversuch 50 britische Polizei-Teams mit den Geräten für die Nummernschild-Erkennung ausgerüstet: Bereits nach neun Monaten Testphase hatten sie insgesamt rund 22,8 Millionen Kennzeichen erfasst. 900.000 Fahrzeuge wurden überprüft, 136.000 gestoppt und mehr als 10.000 Personen festgenommen – meist, weil sie bereits von der Polizei gesucht wurden. Für die britischen Behörden ein Erfolg – die Kennzeichenerfassung gehört dort nach Angaben der National Policing Improvement Agency zu den Routine-Ermittlungsmethoden.

Einführung in acht Bundesländern

In Deutschland ist man noch nicht soweit. Doch nach und nach wurden in acht Bundesländern gesetzliche Möglichkeiten für massenhafte Kennzeichen-Erfassung geschaffen. In Schleswig-Holstein etwa testet die Polizei zwei Geräte für insgesamt rund 50.000 Euro. Im Einsatz sind sie „seit August/September 2007 fast täglich“, sagt Jessica Wessel vom Landespolizeiamt. Gescannt wurden seither Kennzeichen in fünfstelliger Zahl.

Vor allem Versicherungsverstöße

In Hessen nutzt die Polizei seit dem Frühjahr sieben festmontierte und zwei mobile Geräte. Nicht dauerhaft, aber immer wieder stichprobenartig, wie Michael Bußer, Sprecher des Innenministeriums, sagt: „Seit März hatten wir dabei 300 Treffer, die zu 24 Festnahmen geführt haben.“ Bei den meisten Treffern handele es sich um Fahrzeuge, die nicht ausreichend versichert waren. Stellt das Erkennungssystem keinen Treffer mit der Fahndungsliste fest, werden die Fahrzeugdaten unverzüglich gelöscht, erklärt Bußer. „So wie das Verfahren derzeit eingesetzt wird, ist es nicht zu beanstanden“, sagt Barbara Dembowski, Referatsleiterin beim hessischen Datenschutzbeauftragten. Sie kritisiert aber, dass im hessischen Gesetz nicht präzisiert wird, wann und wie die Polizei das Verfahren einsetzen darf.

Für Roland Schäfer, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, ist die neue Fahndungsmethode dagegen ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Autofahrer: „Da werden personenbezogene Daten von Autofahrern ohne konkreten Anlass erhoben“, beschwert er sich: „Und das heimlich – anders als bei Blitzern sind die Geräte nicht offensichtlich zu erkennen.“ Als Frankfurter hat er gegen die Einführung der Kennzeichenerfassung in Hessen geklagt, die seiner Meinung nach alles andere als verhältnismäßig ist: „250.000 Autos werden erfasst, damit es einen Treffer gibt.“

Fahndung „ins Blaue“?

Schäfer und zwei weitere Kläger aus Hessen und Schleswig-Holstein werden heute vor dem Bundesverfassungsgericht argumentieren, dass die Kennzeichenerfassung mit einer unspezifischen Rasterfahnung vergleichbar sei. Solche polizeilichen Fahndungsmethoden „ins Blaue hinein“ hatte das Bundesverfassungsgericht für nicht zulässig erklärt. Noch einen zweiten Hebel wollen die Kläger ansetzen: Dürfen die Länder überhaupt Kennzeichenerfassung einführen? Wäre die Erfassung gesetzlich als Strafverfolgung einzustufen, könnte das nur der Bund.

„Wir sehen das vor allem als Prävention“, versichert deshalb Ministeriumssprecher Bußer. Niemand solle sich trauen, mit einem gesuchten Fahrzeug auf Hessens Straßen unterwegs zu sein. Für die Kläger ist die Kennzeichenerfassung dagegen ein „Präzedenzfall einer allgemeinen, vorsorglichen Überwachung“ durch den Staat. Roland Schäfer sieht bereits einen Schritt hin zur Erstellung von Bewegungsprofilen.

Ein Teil der Technik dafür wäre heute schon vorhanden, fürchten Datenschützer: Bei den Autobahn-Maut-Stationen wird bereits jetzt jedes vorbeikommende Fahrzeug fotografiert, um festzustellen, ob es sich um einen Laster oder einen Pkw handelt. Derzeit werden die Daten unmittelbar gelöscht. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und seine Länderkollegen arbeiten jedoch bereits daran, die Nutzung zumindest der Lkw-Daten zur Verfolgung von Straftaten zu erlauben.

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