Olmert sieht Winograd-Bericht als Freispruch

Israels Ministerpräsident Olmert hat den „Winograd-Bericht“ zum Libanon-Krieg als Bestätigung interpretiert. Die Mehrheit der Israelis sieht das anders. Auch beim Koalitionspartner, der Arbeitspartei, mehren sich Forderungen nach seinem Rückzug.

Von Sebastian Engelbrecht, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv

Über die Hälfte der Israelis hatte gehofft, Ministerpräsident Ehud Olmert werde heute zurücktreten. Und 57 Prozent sind auch jetzt, nach der Veröffentlichung des Winograd-Berichts, der Ansicht, Olmert sollte gehen. Aber mit schlechten Umfragewerten lebt Olmert schon seit langem. Er interpretiert den „Winograd“-Bericht als Bestätigung seiner Entscheidungen im Zweiten Libanonkrieg. Nun sei ihm das „moralische Schandmal“ genommen worden.

Der Bericht der „Winograd“-Kommission hatte Olmerts Entscheidung für eine Bodenoffensive im Südlibanon am Ende des Krieges gestützt, ja sie sogar als „notwendig“ bezeichnet. Diese Sätze brachten Olmert jetzt die größte Entlastung.

Kadima sieht Freispruch für Olmert

In seiner Kadima-Partei atmen viele auf, darunter Tzachi Hanegbi, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitsfragen in der Knesset. Er dankte der „Winograd“-Kommission. Sie habe Anerkennung verdient. Die Kommission habe den Ministerpräsidenten nicht gelobt und ihm keine Komplimente gemacht, die er nicht verdient habe. „Sie hat sich einfach nicht verleiten lassen, der Bosheit zu folgen, die uns anderthalb Jahre begleitet hat“, sagte Hanegbi. „Sie hat es verstanden, die Licht- und die Schattenseiten zu finden, aber sie hat dem Ministerpräsidenten heute einen Freispruch ausgestellt.“

Trotz des Jubels bei Kadima fordern einige Kommentatoren weiter Olmerts Rücktritt, wie etwa Yossi Sarid, der ehemalige Erziehungsminister von der linksliberalen Meretz-Partei. Olmert müsse gehen, mit oder ohne „Winograd“-Bericht, schrieb Sarid in der israelischen Zeitung „Ha’aretz“. Der über 500 Seiten starke Text der Kommission sei „verdreht, konfus und übersät mit inneren Widersprüchen“. Olmert bleibe verantwortlich für den unnötigen Tod von 33 Soldaten, beharrte Sarid. Um das festzusstellen, brauche man keine Untersuchungskommission.

Olmerts Gegner enttäuscht

Enttäuscht reagierten vor allem die Angehörigen der gefallenen Soldaten und die Gruppe von Reservisten, die seit langem den Rücktritt des Ministerpräsidenten fordern. Olmerts Gegner kampieren seit gestern in Zelten vor dem Haus von Verteidigungsminister Ehud Barak in Tel Aviv. Barak, der auch Vorsitzender der Arbeitspartei ist, hatte angekündigt, er werde die Koalition verlassen, wenn der Bericht Olmert belaste.

Eine der Demonstrantinnen ist Nitza Scheinbrom. Ihr Sohn Niv fiel in der umstrittenen Bodenoffensive, 18 Stunden vor dem Waffenstillstand. „Wir sind vor allem enttäuscht, enttäuscht von dem Bericht, der nicht Fisch und nicht Fleisch ist“, sagte sie. „Er hat dem Ministerpräsidenten nur eine sehr mittelmäßige Note gegeben und alle Fehler der Armee angehängt.“ Die Armee sei die einzige Organisaion, die seit dem Ende des Krieges Verantwortung übernommen habe.

Koalitionspartner kritisieren Olmert

Auch in Baraks Arbeitspartei ist der Widerstand gegen das Bündnis mit Olmert noch nicht gebrochen. Der Generalsekretär der Partei, Eitan Cabel, forderte im israelischen Rundfunk den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Die Wahrheit sei, dass er gedacht habe, der endgültige Bericht fiele sehr viel zurückhaltender aus. „Und ich war von seinem Ton überrascht. Die Teile, die sich mit der politischen Führung befassen, sind die härtesten und schärfsten.“ Er könne sich nicht an so schwerwiegende Aussagen gegen die politische Ebene erinnern, wie sie der Bericht geäußert habe.

Der Vorsitzende der Arbeitspartei, Barak, hält sich dagegen noch zurück. Er gab bekannt, er werde den Bericht erst lesen und in den kommenden Tagen entscheiden, ob er die Koalition verlassen werde oder nicht.

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